Publikationen
Langer, Phil C. und Aisha-Nusrat Ahmad. 2022. Die verratene Generation. In: Zeitschrift ZUR SACHE BW, Ausgabe 41 1/2022. S. 27 – 29. Link.
Thoma, Nadja und Phil C. Langer. 2022. Educational Transitions in War and Refugee Contexts: Youth Biographies in Afghanistan and Austria, In: Social Inclusion, Volume 10, Issue 2, Link.
Langer, Phil C., Aisha-Nusrat Ahmad, Ulrike Auge und Khesraw Majidi. (Hrsg.) 2021. Jugend in Afghanistan. Ringen um Zukunft in Zeiten des Krieges. Gießen: Psychosozial-Verlag.
Langer, Phil C. 2019. Glimpses of Hope in the Shadow of War – The Afhan Youth Project (Report). Zur Publikation.
Langer, Phil C. 2019. Glimpses of Hope in the Shadow of War – Afghan Youth’s Outlook on the Future: Selected Essays and Drawings. Zur Publikation.
Langer, Phil C. 2018. Emanzipatorische Forschung: Fürsorgeversprechen, Widerstandsdynamiken und eine Ethik der Zurückhaltung. In: Augello, E.; Lohl, J.; M.-S. Löhlein; Schweder, P. (Hrsg.), Widerstand und Fürsorge. Theorie und Praxis der psychoanalytischen Sozialpsychologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. S. 141-161. Zur Publikation.
Langer, P.C.; Ahmad, AN. 2018. Psychologie und Biographieforschung. In: Lutz H., Schiebel M., Tuider E. (eds) Handbuch Biographieforschung. Springer VS, Wiesbaden. Zur Publikation.
Blatter, Joachim; Langer, Phil C.; Wagemann, Claudius. 2017. Qualitative Methoden in der Politikwissenschaft. Wiesbaden: Springer VS. Zur Publikation.
Zusammenfassung
Afghanistan im Jahr 2015: Die Gewalt im Land hat in den letzten Jahren, auch im Zusammenhang mit der Beendigung der ISAF-Mission, deutlich zugenommen. Allein im ersten Halbjahr 2015 wurden fast 5.000 zivile Opfer berichtet. Zwischen Januar 2009 und Ende Juni 2015 starben etwa 20.000 Zivilisten. Der Selbstmordanschlag in Jalalabad im April, in dem 36 Menschen starben und weitere 110 verletzt wurden, und die zeitweise Einnahme von Kunduz durch die Taliban Ende September, die Hunderte Opfer forderte und Tausende zur Flucht zwang, sind lediglich zwei medial besonders fokussierte Ereignisse in einem Land, in dem Gewalt zur alltäglichen Erfahrung der meisten Menschen gehört. In besonderem Maße sind der United Nations Assistance Mission in Afghanistan zufolge Kinder und Jugendliche, die etwa zwei Drittel der Bevölkerung des Landes ausmachen, von Gewalt betroffen. Ihre Erfahrungen bleiben in der wissenschaftlichen Debatte, die auf politisch und militärisch „machtvolle“ nationale und internationale Akteure enggeführt wird, indes weitgehend ausgespart.
Wenn jedoch die Frage nach vorhandenen Potenzialen und möglichen Perspektiven gesellschaftlicher Transformation – und letztlich eines nachhaltigen Friedens – in Afghanistan gestellt werden soll, gilt es, jene Subjekte, die durch und in ihrem alltäglichen Handeln Gesellschaft fortlaufend herstellen und verfestigen, als Akteure ernst zu nehmen und ihre sozialisations- und erfahrungsbedingten Wahrnehmungen der gegenwärtigen Situation und ihre Vorstellungen der Zukunft zu untersuchen. Das Projekt geht von der besonderen Bedeutung von Jugendlichen für die gesellschaftliche Entwicklung aus, die als „junge Generation“ die Zukunft des Landes prägen.In dieser Hinsicht wird der Frage nachgegangen, welche Folgen die weitreichenden – konzeptionell als traumatisch verstandenen – Erfahrungen kollektiver alltäglicher Gewalt für die Identitätsbildung, die Entstehung von Gesellschaftsbildern und die Ausbildung von sozialem Agency von Jugendlichen in Afghanistan zeitigen. Was bedeuten diese Gewalterfahrungen für Selbstverständnis und Selbstverhältnis der Jugendlichen? Wie gehen sie – mehr oder weniger „produktiv“ – mit ihnen um? Wie prägen sie ihre Vorstellung von einem künftigen (möglichen wie unmöglichen) „anderen“ Afghanistan? Inwieweit halten sie sich für befähigt, zu einer gesellschaftlichen und politischen Veränderung im Land beizutragen?
Das Forschungsprojekt folgt einem empirisch-qualitativen methodischen Design, das in besonderem Maße geeignet scheint, die Mikroebene der alltäglich handelnden Subjekte in den Blick zu nehmen. Orientiert am Forschungsstil der Grounded Theory werden in den nördlichen Provinzen Balkh und Kunduz in zwei Feldphasen 40 Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren mittels biographisch-narrative Interviews befragt und gebeten, lebensweltbezogene Zeichnungen (Drawings) anzufertigen, die ermöglichen, Spuren der Gewalt jenseits ihrer Versprachlichung zu untersuchen. Im Sinne eines partizipativen Ansatzes, wird das Projekt in enger Kooperation mit afghanischen Universitäten, nationalen und internationalen GOs und NGOs sowie regionalen und lokalen Jugendeinrichtungen durchgeführt.
Die Originalität des Projektes besteht damit in der Fokussierung auf die alltäglich handelnden – jugendlichen – Akteure, deren zentrale Bedeutung für friedensbezogene Entwicklungen in einer durch massive Gewalt geprägten Gesellschaft in den Blick genommen wird. Durch die im Projekt vollzogene Analyse der für ein selbstbestimmtes und selbstbewusstes gesellschaftspolitisches Handeln notwendigen Ressourcen und Kompetenzen werden subjektorientierten Ansatzpunkten für Maßnahmen einer nachhaltigen Friedensentwicklung aufgezeigt. Dazu werden alters- und kultursensible Methoden (weiter-)entwickelt und zur Anwendung gebracht. Innovatives Potenzial erhält das Projekt darüber hinaus durch dessen partizipativen und dekolonialisierenden Ansatz: Durch die Kooperation mit afghanischen Universitäten, den Einbezug von dort tätigen Sozialwissenschaftler*innen bei der Methodenentwicklung und Datenauswertung sowie von afghanischen Nachwuchswissenschaftler*innen als Interviewende möchte das Projekt einen Beitrag zum akademischen Capacity Building leisten.
In vergleichender Perspektive wird unter Einbezug von Forschungsbefunden zu den Folgen gewaltsamer Konflikte für Kinder und Jugendliche etwa in Südafrika, Ruanda oder Palästina zugleich die Frage mit verhandelt, inwieweit die Ergebnisse über Afghanistan hinaus Erkenntnisse für die Sozialwissenschaften und Politikberatung im Hinblick auf andere Konflikte und gewaltnahe Gesellschaften wie aktuell v.a. Syrien erbringen.
Abstract
In recent years, violence has increased significantly in Afghanistan. In the first half of 2015, nearly 5,000 civilian casualties have been reported. Between January 2009 and the end of June 2015 nearly 20,000 civilians died. The suicide attack in Jalalabad in April, when 36 people died and another 110 were injured, and the temporary seizure of Kunduz by the Taliban in late September, that claimed hundreds of victims and forced thousands to flee, are only two incidents that were particularly focused on by the media in a country where violence is part of everyday experience in most people’s life. According to the United Nations Assistance Mission in Afghanistan, children and adolescents, that amount together two third of the country‘s population, are significantly affected by violence. Yet, their experiences, are neglected in scientific debates, that primarily focus on political and military ‚powerful‘ national and international actors.
Since it is the young generation that shapes the country’s future, one has to take into account their experiences, when the question of existing potentials and possible perspectives of social transformation – and ultimately sustainable peace – in Afghanistan is proposed. In this regard, it is important to understand the impact traumatic experiences of collective everyday violence have for identity formation, conceptions of society and the development of social agency for youths in Afghanistan. What do these experiences of violence mean for self-understanding and self-relation of young people? How do youngsters cope with such traumatizing experiences? How do these experiences shape their imaginations of a different Afghanistan? To what extent do they see themselves capable in contributing to a societal and political transformation?
The project pursues a qualitative research design, which particularly seems suitable to analyze everyday experiences on a micro level. Following a Grounded Theory approach, biographical-narrative interviews are conducted and drawings collected during two field phases in the northern provinces Balkh and Kunduz, focusing on adolescents aged 14 to 20 years. In the tradition of participatory research, the project will closely cooperate with Afghan universities, national and international GOs and NGOs as well as local youth centers in Afghanistan.
Taking into account further studies on the implications of violent conflicts on children and adolescents in South Africa, Ruanda or Palestine it will be assessed to what extent the results can be transferred to the analysis of other current violent conflicts (e.g. in Syria).