Publikationen
Fischer, Martina; Petrović-Ziemer, Ljubinka (2015): Dealing with the Past and Peacebuilding in the Western-Balkans. Forschung DSF No. 36. Osnabrück: Deutsche Stiftung Friedensforschung. Zur Publikation.
Fischer, Martina; Petrović-Ziemer, Ljubinka (Hrsg) (2013): Dealing with the Past in the Western Balkans. Initiatives for Peacebuilding and Transitional Justice in Bosnia-Herzegovina, Serbia and Crotia. In: Berghof Report No 18. Berlin: Berghof Foundation. Zur Publikation.
Fischer; Martina (2012): Transitional Justice and Dealing with the Past. In: Berghof Glossary on Conflict Transfor-mation. 20 notions for theory and practice. Berlin. 111-115. Zur Publikation.
Fischer; Martina (2011): Struggling for Justice, Truth and Reconciliation in the Western Balkans. In: Susanne Buck-ley-Zistel und Thomas Kater (Hg.): Nach Krieg, Gewalt und Repression: Vom schwierigen Umgang mit der Vergangenheit. Baden-Baden: Nomos, 1. Aufl. 59-79. Zur Publikation.
Fischer; Martina (2011): Transitional Justice and Reconciliation: Theory and Practice. In Beatrix Austin, Martina Fischer and Hans J. Giessmann (eds.): Advancing Conflict Transformation. The Berghof Handbook II. Opladen-Farmington Hills: Barbara Budrich Publishers. 405-430. Zur Publikation.
Zusammenfassung
Das Projekt untersucht Initiativen für Aufarbeitung und Aussöhnung, die in Reaktion auf die Kriege der frühen neunziger Jahre im ehemaligen Jugoslawien ergriffen wurden. Die Notwendigkeit der juristischen Aufarbeitung wurde zunächst vor allem von den Vereinten Nationen und der Europäischen Union betont und mit der Einrichtung des International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (ICTY) in Den Haag 1993 von außen an die Gesellschaften der Region herangetragen. Von diesen Akteuren wurde auch der Aufbau von Strafkammern in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien unterstützt. Maßnahmen zur Reform von Polizeiapparaten, zur Flüchtlingsrückkehr und zur Klärung von Eigentumsrechten und Kompensationen wurden ebenfalls durch internationale Experten begleitet. Internationale Organisationen und bilaterale Geldgeber, darunter Ministerien, Stiftungen, Menschenrechtsorganisationen, friedens- und entwicklungspolitische Einrichtungen haben darüber hinaus Maßnahmen gefördert, die Prozesse der gesellschaftlichen Aufarbeitung anregen sollten.
Mit dem Auslaufen des Mandats des Haager Tribunals stehen die Gesellschaften in der Region vor der Herausforderung, Prozesse der Aufarbeitung eigenständig zu gestalten. Das Forschungsvorhaben nimmt diese Umbruchphase zum Anlass, bisherige Ansätze zur Aufarbeitung von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien rückblickend zu bewerten, aktuelle Trends genauer in den Blick zu nehmen und zu fragen: Wie bereiten sich internationale und lokale Akteure auf die neue Situation vor? Welche Vorschläge existieren in den drei Ländern für den Umgang mit Vergangenheit?
Das Projekt untersucht die Interaktion unterschiedlicher Akteursebenen. Es nimmt zunächst die Aktivitäten der „Protagonisten“ von Transitional Justice, der internationalen Akteure und lokalen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen in den Blick, um sie im Hinblick auf ihre Kohärenz und ihre Implikationen für Friedensförderung und Konflikttransformation zu untersuchen. Das Projekt will außerdem über Kooperationsformen und Lernprozesse Aufschluss gewinnen. Es will Synergien, Dilemmata und Zielkonflikte identifizieren, die sich im praktischen Zusammenwirken von Friedens- und Menschenrechtsarbeit ergeben, und es fragt nach der Reichweite, der gesellschaftlichen und politischen Verankerung der Aktivitäten. Vertreter politischer Parteien sowie der Strafkammern für Kriegsverbrechen bei den lokalen Gerichten werden daher ebenfalls zu ihren Einschätzungen befragt.
Ergebnisse
Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden Initiativen für Aufarbeitung und Aussöhnung untersucht, die von internationalen Akteuren, juristischen Instanzen und lokalen zivilgesell-schaftlichen Akteuren in Reaktion auf die Kriege der frühen neunziger Jahre im ehemaligen Jugoslawien ergriffen wurden. Das Erkenntnisinteresse richtete sich auf die Kohärenz der Ziele und Strategien und ihre Implikationen für Friedenskonsolidierung, Kooperationsformen und Lernerfahrungen, und die politische Resonanz der jeweiligen Ansätze. Im Fokus standen die Länder Bosnien-Herzegowina, Serbien und Kroatien, die eine ethnopolitische Konfliktgeschichte verbindet und die sich 1995 als Signaturstaaten des Friedensvertrags von Dayton zur Kooperation bei der Bewältigung von Kriegsfolgen verpflichtet haben. Die länderübergreifende Fallstudie wurde unter Beteiligung lokaler Partner aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und akademischen Einrichtungen durchgeführt. Dafür wurden 150 Interviews in 28 Gemeinden durchgeführt.
Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Im westlichen Balkan wurden, verglichen mit anderen Nachkriegsgesellschaften, sehr frühzeitig und mit einem hohen internationalen Mitteleinsatz Initiativen zur Aufarbeitung von Vergangenheit ergriffen. Der Friedensvertrag von Dayton und UN-Resolutionen haben die Basis dafür geschaffen. In einer Situation, in der einheimische Institutionen nicht willens oder in der Lage waren, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfassend aufzuklären und zu verfolgen, hat das Haager Jugoslawientribunal (ICTY) einen wichtigen Beitrag geleistet und auch den Ausbau einheimischer Kapazitäten für diese Zwecke erfolgreich unterstützt. Die Bedeutung der juristischen Aufklärung und Strafverfolgung wird von den interviewten Akteuren ausnahmslos anerkannt, wenngleich die Arbeit der damit befassten Instanzen unterschiedlich bewertet wird und diese keineswegs uneingeschränktes Vertrauen genießen.
Die verschiedenen TJ-Protagonisten sind sich jedoch einig in der Einschätzung, dass Prozesse der Aufarbeitung nicht bei der Strafjustiz stehen bleiben können. Vor allem internationale Akteure haben einen starken Fokus auf die juristische Aufarbeitung und insbesondere die Strafjustiz gelegt. Restorativen Formen von Gerechtigkeit hingegen wurde bislang weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Auch restorative Formen der Wahrheitsfindung, die einen Beitrag für Heilungsprozesse, den Aufbau von Vertrauen und sozialen Beziehungen bilden, blieben bislang unterbelichtet. Initiativen in diesem Feld wurden im Wesentlichen von zivilgesellschaftlichen Akteuren unternommen. Jedoch fallen deren Vorschläge dafür, wie restorative Herangehensweisen gestaltet werden müssen, recht heterogen aus.
Mit der Kampagne für eine regionale Wahrheitskommission (REKOM) haben sich viele zivilgesellschaftliche Akteure zwar zunächst auf einen gemeinsamen Nenner (Faktenerhebung) geeinigt. Aber unter den Gruppen und Individuen, die eine solche Kommission unterstützen und/oder sich der Werbekampagne dafür angeschlossen haben, gibt es dennoch unterschiedliche Vorstellungen zu den Potenzialen eines solchen länderübergreifenden Mechanismus. Einige würden diesen gern auch mit weitergehenden Mandaten ausgestattet sehen. So ist bislang unter den untersuchten Akteursgruppen umstritten, ob eine regionale Kommission einen Zugewinn an Wahrheit und Gerechtigkeit für die am meisten unter den Kriegsfolgen leidenden Gruppen erbringen wird (Opfer und deren Angehörige, Flüchtlinge und intern Vertriebene), und ob sie den gesellschaftlichen Dialog über die Vergangenheit konstruktiv beeinflussen kann. Dasselbe gilt für Transitional Justice-Strategien, die mit internationaler Unterstützung von staatlichen Instanzen in Konsultation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren entwickelt wurden.
Im Hinblick auf die Interaktion lassen sich eine Reihe effektiver Vernetzungen und Kooperationen zwischen den Handlungsebenen (international/regional/lokal, staatlich/nicht-staatlich) identifizieren. Gleichwohl bewegen sich Initiativen auf der politischen und gesellschaftlichen Ebene bislang noch eher parallel, bzw. neben einander her als in Verknüpfung miteinander. Mehr-Ebenen-Zugänge, die sich auf inklusive Erinnerungskulturen richten, stehen noch aus und werden dringend benötigt. Die Initiative für eine regionale Wahrheitskommission, die nicht nur von zahlreichen NGOs aus der Region mit Nachdruck verfolgt wurde, sondern inzwischen auch Unterstützung von einigen hochrangigen Politikern erhält, birgt Potenziale hierfür. Es wird sich zeigen, ob tatsächlich ein institutionalisierter, grenzübergreifender Mechanismus etabliert werden kann, in dem sich bottom-up und top-down Initiativen treffen und synergetisch entfalten.
Die Feldforschung zeigt, dass Mechanismen der Strafjustiz zur Verfolgung von Verbrechen in den untersuchten Ländern weiter ausgebaut werden müssen, dass aber ergänzend dazu verstärkt Aktivitäten zu unterstützen sind, die restorative Formen von Gerechtigkeit und Wahrheit fördern. Diese müssen zwar die Region und ihre verflochtene Kriegsgeschichte in den Blick nehmen, sich aber gleichzeitig auf die Veränderung der Gedenkkultur auf der lokalen Ebene (z.B. in Städten und Gemeinden) und pädagogische Einrichtungen richten. Es gilt vor allem, Initiativen zu fördern, die von politischen und gesellschaftlichen Akteuren gemeinsam getragen werden, sich wechselseitig ergänzen und Lernerfahrungen ermöglichen.