Demobilisierung und Remobilisierung in Äthiopien ab 1991
Projektleitung: Prof. Dr. Helmut Bley,Universität Hannover, Historisches Seminar
Laufzeit: November 2002 – Oktober 2004
Projektleitung: Prof. Dr. Helmut Bley,Universität Hannover, Historisches Seminar
Laufzeit: November 2002 – Oktober 2004
Schröder, Günter (2004): Demobilisation and Remobilisation in Ethiopia after 1991. A note on an on-going research project. In: Hot Spot Horn of Africa (Ed. Eva-Maria Bruchhaus). Münster-Hamburg-London. Zur Publikation.
Schröder, Günter (2003): Demobilisierung von Soldaten. Ein notwendiger, aber nicht hinreichender Beitrag zur Friedenssicherung in Konfliktregionen. In: Uni-Magazin. Zeitschrift der Universität Hannover. Ausgabe 1/2. Hannover. Zur Publikation.
Am Historischen Seminar der Universität Hannover besteht ein langjähriger Arbeitszusammenhang mit unterschiedlichen Themen der Geschichte Afrikas im 20. Jahrhundert. Innerhalb des Historischen Seminars ist hieraus ein eigener Arbeitsbereich Afrikanische Geschichte / Africa Research Group entstanden, in dessen Rahmen sich mehrere Projekte mit Fragen der Kriegsfolgen und ihrer Bewältigung in Afrika beschäftigten (Nigeria, Uganda, Mosambik, Eritrea). Als Vorarbeiten zu diesem Forschungsprojekt sind u.a. die Arbeiten von Frank Schubert zum Demobilisierungsprozess in Uganda, von Torsten Meier und Freya Grünhagen zur Flüchtlingsrepatriierung in Mosambik und Eritrea, sowie als jüngste Arbeit die Untersuchung von Hartmut Quehl zur Sozialgeschichte des Eritreischen Unabhängigkeitskrieges zu sehen.
In diesem Kontext ist dieses Forschungsprojekt, als ein Schritt zu betrachten, die bereits existierenden Forschungsschwerpunkte „Sozialgeschichte postkolonialer Kriege in Sub-Sahara Afrika“ und „Kriegsfolgenbewältigung“, sowie den regionalen Schwerpunkt „Horn von Afrika“ weiter auszubauen. Ein neues Forschungsvorhaben von Hartmut Quehl ist in Vorbereitung, das darauf zielt, unter Heranziehung der Ergebnisse des hier vorgestellten Forschungsvorhabens, analoge Fragestellungen komparativ für Eritrea, Dschibuti und Somalia behandeln.
Kurzbeschreibung des Forschungsvorhabens
In Äthiopien fanden nach dem Machtwechsel 1991 umfangreiche Demobilisierungsprozesse aus bewaffneten Verbänden (reguläre Armeen, Truppen von Befreiungsbewegungen) statt. Gleichzeitig wurden die Militärausgaben erheblich abgesenkt. Die internationale Gemeinschaft begrüßte und unterstützte diese Maßnahmen als Teil einer auf Friedenssicherung gerichteten Politik der neuen äthiopischen Regierung. Der als positiver Modellfall wahrgenommene Prozess der Demobilisierung und Reintegration von Ex-Kämpfern in Äthiopien bildete in einer kontinentalen Perspektive Teil eines allgemeinen Prozesses der Demobilisierung und Reduktion militärischer Personalstärken sowie der Senkung von Militärausgaben im subsaharischen Afrika nach Ende des Kalten Krieges.
Der äthiopisch-eritreische Krieg (1998-2000) zerstörte die in der internationalen Gemeinschaft gehegten Hoffnungen, der nach 1991 erlangte Friedensbonus sei von Dauer. Er resultierte in einer massiven Ausweitung der Armeen der Kriegsgegner und Erhöhung der Militärausgaben. Nach Ende der Kämpfe im Juni 2000 wurden erneute Demobilisierungen und Senkungen der Militärausgaben angekündigt, aber auf absehbare Zeit werden weder Äthiopien noch Eritrea ihre Militärausgaben und Armeestärken auf den Vorkriegsstand herunterfahren. Dennoch haben die angekündigten Demobilisierungen und Senkungen der Militärausgaben erneut in der internationalen Gemeinschaft die Hoffnung geweckt, dass sie dieses Mal von größerer Nachhaltigkeit sein werden.
Eine kritische Beleuchtung der abgelaufenen Demobilisierungsprozesse und der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Äthiopien und im Horn von Afrika insgesamt nach 1991 legt nahe, dass diese Hoffnungen zumindest verfrüht sind. Nach 1991 fanden weder in Äthiopien noch in Eritrea, von Somalia und Dschibuti einmal ganz abgesehen, tief greifende und nachhaltige Demokratisierungsprozesse statt. Nur diese hätten zu einer Reduktion der historisch entstandenen hohen inner- wie zwischenstaatlichen Konfliktpotentiale im Horn von Afrika führen können, die Voraussetzung für die Nachhaltigkeit der durchgeführten Demobilisierungsprozesse gewesen wäre.
Der äthiopisch-eritreische Krieg 1998-2000 ist hinreichend Grund, die Gesamtentwicklung in der Region einschließlich der Demobilisierungen und militärischen Rekonfigurationsprozesse sorgfältig zu reevaluieren Dies soll in diesem Forschungsvorhaben geleistet werden. Die Betrachtung wird sich auf die Frage konzentrieren, ob die abgelaufenen Demobilisierungen in Verbindung mit der Rekonfiguration der bewaffneten Organe der neuen Staatsmacht zentrale Elemente der EPRDF/TPLF Strategie waren, um nach dem militärischen Sieg über den Derg die politische Alleinherrschaft in Äthiopien durch militärisch abgesicherte Ausschaltung aller Konkurrenten zu erlangen und zu behalten.
Diese Reevaluierung muss die abgelaufenen Demobilisierungen sowohl in ihren aktuellen politischen Kontexten wie auch in ihren historischen Dimensionen analysieren. Nur dies wird erlauben, tragfähige Aussagen über die Chancen für langfristige und nachhaltige Friedenssicherung durch Reduktion von Konfliktpotentialen und Demilitarisierung in Äthiopien und den anderen Staaten der Region zu formulieren. Ohne die Reduktion von Konfliktpotentialen und die Demilitarisierung der Staaten und Gesellschaften im Horn von Afrika werden in der Sache möglicherweise erfolgreiche Demobilisierungen immer nur Stückwerk von begrenzter Dauer bleiben.
Die zentrale These des Forschungsvorhaben geht davon aus, dass das Länderfallbeispiel Äthiopien deutlich zeigt, dass Demobilisierungsprozesse der Planung von Machterhalt und Herrschaftssicherung dienen, die durch ein verwobenes Netz von Demobilisierung und Rekonfiguration der militärischen und anderer staatlicher Sicherheitsapparate realisiert werden. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Analyse der diesbezüglichen Strategien der militärischen und politischen Hauptakteure. Die Demobilisierungsprozesse, die in Äthiopien nach 1991 abliefen und in Jahre 2000 nach Ende des äthiopisch-eritreischen Kriegs erneut einsetzten, sind daher sowohl in ihrem Verlauf als auch in ihrem jeweiligen übergeordneten politischen Kontext aufzuarbeiten und darzustellen.
Diese Analyse ist einzubetten in eine knappe historische Betrachtung des Strukturwandels des äthiopischen Staates seit Ende des 19. Jh., in der besonders die Rolle von Gewalt und Militär für die Konstituierung von Staatsmacht berücksichtigt werden soll. Diese Untersuchung soll erlauben, die Konfliktpotentiale zu beschreiben, die in diesem Raum als Resultat eines unvollendeten Prozesses der Transformation zur Moderne entstanden und immer wieder in gewaltsam und unter Einsatz von militärischen Mitteln ausgetragenen Auseinandersetzungen unter den politischen Akteuren dieses Raumes resultierten. Unter diesem Aspekt versteht sich dieses Forschungsvorhaben auch als Beitrag zu einer Aufarbeitung der Transformationsproblematik der Gesellschaften dieses Raums.
Stand der Forschung
Seit den 80er Jahren sind Demobilisierungsprozesse in afrikanischen und anderen Staaten verstärkt Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Im Laufe der Zeit entstand hierzu eine umfangreiche Literatur. Viele dieser Arbeiten konzentrieren sich auf
Die Untersuchung
gerät demgegenüber in diesen Arbeiten oft zu kurz oder fehlt völlig.
Andererseits liegen in der Friedens- und Konfliktforschung zahlreiche Arbeiten vor, die sich intensiv mit den Ursachen von bewaffnet ausgetragenen Konflikten befassen. Zunehmend werden die Ergebnisse dieser Forschung auch für die Untersuchung von Demobilisierungsprozessen herangezogen. Hieraus ergeben sich wertvolle Einsichten nicht nur für das Zustandekommen und die Durchführung von Demobilisierungsprozessen, sondern auch wichtige Aufschlüsse für ihr wiederholtes Scheitern. Als wesentliche Ursache für Letzteres stellt sich immer wieder die Schwäche der politischen Institutionen und der Zivilgesellschaften in den betreffenden Ländern heraus, aber auch deren ökonomische Schwächen und soziale Verwerfungen, die in hohen Konfliktpotentialen (Verteilungskämpfen) resultieren. Die Verbindung der Friedens- und Konfliktforschung mit den Untersuchungen von Demobilisierungsprozessen fördert den Forschungsansatz, die Demobilisierungsprozesse und die Konflikte, in die sie eingebettet sind, letztlich als Aspekte einer umfassenderen Problematik unvollendeter Transformationen zur Moderne zu begreifen.
Der als positiver Modellfall wahrgenommene Prozess der Demobilisierung und Reintegration von Ex-Kämpfern in Äthiopien ist in zahlreichen Studien beschrieben worden. Jedoch konzentrierten die meisten dieser Studien sich auf Aspekte des engeren Demobilisierungs- und Reintegrationsprozesses: Abwicklung und sozio-ökonomische Eigenschaften der Zielgruppen der Demobilisierungsprozesse, Planung und Eigenschaften, Durchführung und Nachhaltigkeit der Reintegrationsprogramme. Eine systematische Analyse der politischen Bedeutung der Demobilisierungsprozesse im übergeordneten politischen Gesamtkontext erfolgte jedoch nicht.
Zwar wurde häufig in den diesbezüglichen Studien der Sicherheitsaspekt der Demobilisierungsprogramme und ihre Bedeutung für die Herstellung des inneren Friedens erwähnt, aber eine systematische Untersuchung der Rolle der Demobilisierungsprozesse für die Durchsetzung der vollständigen Alleinherrschaft der EPRDF erfolgte nicht. Ebenso unterblieb eine kritische Aufarbeitung der parallel zu den Demobilisierungsprozessen ablaufenden Rekonfiguration und personellen Verstärkung der neuen äthiopischen Armee, Polizei und anderen bewaffneten Sicherheitsapparate. Ebenso wenig wurde die Gefährdung der Nachhaltigkeit dieser Demobilisierungen durch die Fortdauer inner- äthiopischer wie regionale Konfliktpotentiale im Kontext der inneräthiopischen Machtsicherungsstrategie der EPRDF und ihrer regionalpolitischen Hegemonialaspirationen und deren Relevanz für die innere wie äußere Sicherheit reflektiert. Noch weniger wird in diesen Arbeiten zur Demobilisierung auf die Rolle von Gewalt und Militär in der Geschichte der Gesellschaften und Staaten und dieses Raumes und die hochgradige Militarisierung von Staat und Gesellschaft Bezug genommen.
Als Resultat dieser unterlassenen Einbeziehung sowohl des kontemporären politischen inneräthiopischen und regionalen Kontexts als auch seiner historischen Genesis in die Analyse blieb der internationalen Gemeinschaft wie auch der Forschung verborgen, dass die strukturellen Voraussetzungen für eine Nachhaltigkeit der Demobilisierungsprozesse im Sinne einer langfristigen Friedenssicherung und einer umfassenden Demilitarisierung von Staat, Gesellschaft und Mentalitäten nach 1991 in Äthiopien aber auch in den anderen Ländern des Horn nicht gegeben waren.
Zur Genesis der inneräthiopischen und regionalen Konfliktpotentiale wie auch zur Rolle des Militärs in der Geschichte Äthiopiens und seiner besonderen Funktion in Staatsbildungsprozessen und zur Sicherung der politischen Staatsmacht liegen in zahlreichen Werken Ausführungen vor. Die systematische Aufarbeitung dieses Materials unter Heranziehung von allgemeinen Arbeiten zu Staatsbildungsprozessen in der Geschichte zur Entwicklung eines theoretischen und historischen Rahmens für die Staatsbildungsprozesse im Raume Horn von Afrika und der Rolle von Gewalt und Militär in diesen steht aber noch aus. Insbesondere fehlt die systematische Untersuchung der Fragestellungen,
Fragestellungen und Herangehensweise
Ausgangspunkt des Forschungsvorhabens ist die Fragestellung nach dem Ablauf der Demobilisierungsprozesse in Äthiopien seit 1991 unter dem Aspekt der Herrschaftssicherung und der regionalen Hegemonialpolitik der neuen Träger der äthiopischen Staatsmacht.
Der Bearbeitung der aufgezeigten Defizite der bisherigen Forschung zu den Demobilisierungsprozessen in Äthiopien seit 1991 dienen die vertiefenden Fragestellungen nach
Die Untersuchung geht hierbei davon aus, dass es sinnvoll ist, diese Fragestellungen in den Kontext der Transformationsprobleme der äthiopischen Militärgesellschaft zu stellen. Dies erfordert zum einen das Aufzeigen der historischen Grundmuster von Demobilisierung und Remobilisierung seit Entstehung des modernen äthiopischen Staates unter Menelik II, zum anderen insbesondere das Eingehen auf den permanenten Kriegszustand unter der Herrschaft des äthiopischen Militärsozialismus 1974-1991. Auf dieser Basis werden die Demobisilierungs- und militärischen Rekonfigurationsprozesse nach 1991 reevaluiert.
Es wird erwartet, dass sich aus dieser Reevaluierung
formulieren lassen.
Inhaltliche Gliederung des Forschungsvorhaben
1. Demobilisierung und Reintegration von Angehörigen bewaffneter Verbände in Zivilgesellschaft als Forschungsgegenstand
a) Defizite bisheriger Forschung
b) Analyse und Neubewertung von Demobilisierung und Remobilisierung als Elemente gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozesse
2. Historischer Überblick über Demobilisierung und Remobilisierung im äthiopischen Raum (mit ausgewählten Fallstudien)
3. Demobilisierung und militärische Rekonfigurationsprozesse nach 1991
a) Demobilisierung und Rekonfiguration von Militärapparaten 1991-1998
b) Demobilisierung und Rekonfiguration von Militärapparaten nach 2000
4. Abschließende Analyse
a) Evaluierung der Forschungsergebnisse im Kontext der Geschichte und Transformationsproblematik Äthiopiens
b) Demobilisierung von Angehörigen bewaffneter Verbände in ihre Reintegration in die Zivilgesellschaft als Instrumente begrenzter Reichweite für die innere und regionale Friedenssicherung
c) Einbettung der Demobilisierungs- und Reintegrationsprozesse in übergeordnete Strategien der Verringerung von Konfliktpotentialen und zur Stärkung von nicht-militärischen Potentialen der Konfliktaustragung auf inner- wie interstaatlicher Ebene
d) Konsequenzen für die Planung und Umsetzung künftiger Demobilisierungsprogramme
Am 28. Mai 1991 übernahm die von der Tigray Peoples Liberation Front (TPLF) dominierte Ethiopian Peoples Revolutionary Democratic Front (EPRDF) die Macht in Addis Abeba. Seitdem wird die Regierungsgewalt in Äthiopien mittels der EPRDF und einer Abfolge von EPRDF-beherrschten Regierungen von der TPLF ausgeübt und fest kontrolliert.