Publikationen
Dörfler, Thomas (2019): Security Council Sanctions Governance. The Power and Limits of Rules. Abingdon, Oxon & New York: Routledge.
Becker, Manuel; Dörfler, Thomas; Gehring, Thomas (2018): Credible Commitment without Independent Regulatory Agents: Evidence from the United Nation Security Council’s Compensation Commission. In: Regulation & Governance 12 (3), 395-412. (Open Access)
Becker, Manuel; Dörfler, Thomas; Gehring, Thomas (2017): Complex Governance Structures and Rule-based Decision-making within the UN Security Council. Forschung DSF No. 43. Osnabrück: Deutsche Stiftung Friedensforschung. Zur Publikation.
Zusammenfassung
Problemstellung und forschungsleitende Fragen
In dem Projekt soll in vergleichender Perspektive für mehrere Sanktionsregime untersucht werden, ob und auf welche Weise die Einsetzung entscheidungsbefugter Sanktionsausschüsse die im Weltsicherheitsrat vorherrschende Entscheidungslogik beeinflusst, und wie sich dies gegebenenfalls auf die getroffenen Entscheidungen auswirkt. Im Rahmen seiner Sanktionsregime übernimmt der Rat vielfach komplexe Governance-Aufgaben, die über einen längeren Zeitraum existieren und vielfältige Einzelmaßnahmen umfassen. Damit entwickelt sich ein Zweig der Ratsaktivität, der fortlaufend erheblichen Entscheidungsbedarf hervorruft. Durch die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf Sanktionsausschüsse entsteht ein mehrstufiger, in sich differenzierter Entscheidungsprozess, der den Weltsicherheitsrat von einer Bühne für politische Großmachtentscheidungen in eine komplexere Governance-Struktur überführt, die die Grundlage für regelgeleitete und in sich konsistente(re) Entscheidungen legen könnte.
Relevanz für die Friedens- und Konfliktforschung und Originalität des Vorhabens
Das Projekt ist für die Friedensforschung in zweifacher Hinsicht von erheblicher Bedeutung. Zum einen trägt es dazu bei, die Funktionsweise des Weltsicherheitsrates als zentraler internationaler Institution auf dem Gebiet der Erhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit besser zu verstehen. Wenn diese Institution unter Rückgriff auf die ihr übertragenen weitreichenden Rechtsetzungskompetenzen nicht nur in Form zeitlich eng begrenzter Kriseneinsätze agiert, sondern im Rahmen ihrer Sanktionsregime auch längerfristige Regulierungsaufgaben übernimmt, gewinnt die Frage an Bedeutung, wie und mit welchen Folgen dies geschieht. Zum anderen gewinnt die Friedensforschung Anschluss an die in den vergangenen Jahren facettenreich entwickelte Organisations- und Institutionentheorie und die darauf aufbauende theoriegeleitete Forschung über die Gestaltung internationaler Institutionen und deren Folgen. Sie erschließt sich damit einen bislang kaum genutzten Zugang zur Analyse friedenspolitisch relevanter internationaler Institutionen.
Theoretisch-methodische Grundlegung des Vorhabens
In theoretischer Hinsicht schließt das Projekt an die neuere Organisationsforschung im Bereich der internationalen Institutionen und der Europäischen Union sowie an völkerrechtliche Ansätze zu einem im Entstehen begriffenen ‚globalen Verwaltungsrecht’ an. Im organisationssoziologischen Sinn wird der Weltsicherheitsrat als Selektionsapparat verstanden, dessen Funktion es ist, kollektiv verbindliche Entscheidungen zu treffen. Im Anschluss an die rationalistische Institutionentheorie wird die Einrichtung entscheidungsbefugter Ausschüsse im Rahmen des Weltsicherheitsrates als Delegationsverhältnis aufgefasst, das eine spezifische Form der funktionalen Differenzierung des Entscheidungsprozesses nach sich zieht. Obwohl sich der Weltsicherheitsrat und seine Ausschüsse aus denselben Mitgliedern rekrutieren, unterliegen sie unterschiedlichen Mandaten und folgen anderen Entscheidungsregeln. Im Anschluss an neuere Erkenntnisse der Organisationsforschung wird vermutet, dass diese Organisation des institutionellen Entscheidungsprozesses Einfluss auf die getroffenen Entscheidungen selbst gewinnt.
Geplante Umsetzungsschritte
Zunächst werden existierende institutionen- und organisationstheoretische Erkenntnisse auf die Bedingungen des Weltsicherheitsrates zugeschnitten, um daraus Hypothesen abzuleiten. Sodann werden die Folgen der Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf den besonders aktiven Al-Qaida-/Taliban-Sanktionsausschusses untersucht, in dessen Rahmen zahlreiche des Terrorismus verdächtige Personen und Sanktionen gelistet und mit Sanktionen belegt werden. Im Zentrum stehen die Arbeitsteilung zwischen dem Weltsicherheitsrat selbst und dem von ihm eingesetzten Ausschuss sowie die daraus entstehenden Folgen, einschließlich der zunehmenden Verregelung der Entscheidungspraxis. Anschließend wird diesen Fragen in vergleichender Perspektive für ausgewählte andere Sanktionsregime mit personenbezogenen Sanktionen nachgegangen.
Schließlich wird die Untersuchung auf zwei Sanktionsregime mit differenzierten Entscheidungsprozessen ausgedehnt, in deren Rahmen der Weltsicherheitsrat andere Entscheidungen an Sanktionsausschüsse übertragen hat, nämlich die Listung mit Handelsbeschränkungen belegter kriegswaffenähnlicher Güter (‚dual use items’) im Rahmen des Iran-Sanktionsregimes und die Bewilligung von Ausnahmen von dem umfassenden Handels-verbot gegenüber dem Irak in den 1990er Jahren. Die vergleichende Perspektive erlaubt es, generelle Zusammenhänge der Entscheidungspraxis des Weltsicherheitsrates zu identifizieren, die fallübergreifend, also unabhängig von den Spezifika einzelner Krisensituationen gelten.
Erwartete Ergebnisse und Praxisrelevanz
Das Projekt lässt politikrelevante Erkenntnisse darüber erwarten, wie sich trotz des starken Einflusses der Großmächte im Weltsicherheitsrat durch institutionelles Design Oppor-tunitätsstrukturen aufbauen lassen, die den (partiellen) Übergang hin zu einer stärker regelgebundenen Entscheidungsfindung fördern. Es verspricht institutionentheoretisch fundierte und empirisch gesättigte Erkenntnisse über die Funktionsweise ausdifferenzierter Entscheidungsprozesse innerhalb des Weltsicherheitsrates sowie über die Bedingungen, unter denen die getroffenen Entscheidungen an fallübergreifende Regeln gebunden werden können. Ausgelotet werden die Möglichkeiten, die Konsistenz der getroffenen Entscheidungen auf diese Weise zu stärken, ebenso wie die Folgen, die auftreten, wenn dies nicht geschieht. Das Projekt vermag damit institutionelle Arrangements aufzuzeigen, die Sanktionsmaßnahmen des Sicherheitsrates mit stärkerer Legitimität ausstatten, ohne die starke Rolle der Mitgliedstaaten, insbesondere der Großmächte, zu untergraben.