Zusammenfassung
In Asien ist in der letzten Dekade, eine zwischenstaatliche Dynamik der Etablierung neuer regionaler Kooperationen zu beobachten. Dieser Regionalisierungsprozess umfasst politische, ökonomische und kulturelle Initiativen. Dazu zählt auch der so genannte „Bangladesch-China-Indien-Myanmar Prozess“ (BCIM). Diese Region ist jedoch geprägt von drei grenzüberschreitend miteinander verzahnten Konfliktkonstellationen: ethnopolitischen Auseinandersetzungen, Ressourcenkonflikten und Grenzstreitigkeiten. Dennoch haben sich die sino-indischen Beziehungen seit ca. 10 Jahren zumindest auf der zentralstaatlichen, diplomatisch-rhetorischen Ebene kontinuierlich verbessert.
Im Jahr 2013 verständigten sich Indien und China zunächst bilateral und dann auch mit Bangladesch und Myanmar auf die Einrichtung eines „Economic Corridor“ (BCIM EC). Die damit verbundenen Ziele sind die Erweiterung des regionalen Handels u.a. durch den Ausbau der Grenzübergänge, die beschleunigte Ausbeutung der rohstoffreichen Region, der Aufbau industrieller Wachstumszonen sowie die Förderung kulturellen Austauschs. Außerdem ist der Ausbau der jahrzehntelang blockierten regionalen Verkehrsinfrastruktur, insbesondere zwischen Kolkata (Hauptstadt des indischen Bundesstaates Westbengalen) und Kunming (Hauptstadt der chinesischen Provinz Yunnan) geplant. Auch eine Städtepartnerschaft zwischen Kolkata und Kunming wurde vereinbart. Eine offene Frage ist, inwieweit die getroffenen Vereinbarungen angesichts der Komplexität existierender Spannungen in der BCIM-Region umgesetzt werden können. Außerdem besteht mit Blick auf eine zu erwartende, selektive oder bruchstückhafte Umsetzung das Risiko einer Verschärfung bestehender Konflikte, insbesondere in den Grenzregionen von Nordostindien, Bangladesch, Myanmar und Südwestchina.
Die Pilotstudie wird erstens analysieren, wie die am BCIM EC-Projekt beteiligten zentral- und lokalstaatlichen (Track 1), ökonomischen (Track 2) und zivilgesellschaftlichen (Track 3) Akteure aus Indien und China die Konflikte bewerten und welche Lösungsansätze sie ggf. favorisieren. Zweitens wird am Beispiel der beiden wichtigsten Grenzübergänge zwischen Nordostindien und Myanmar sowie zwischen Südwestchina und Myanmar untersucht, ob und ggf. welche Handelstätigkeiten zunehmen, und welche Effekte dies für eine Verschärfung oder Verringerung lokaler Spannungen und für eine Stärkung oder Schwächung transkultureller Verflechtungen hat.
Überprüft wird die These des Mehrebenen-Diplomatie-Ansatzes „Building peace across borders“ von Alexander Ramsbotham und William Zartman, derzufolge erfolgreiche Friedensinitiativen in regionalen Konfliktsystemen nationalstaatliche Blockaden überwinden durch Kooperationen von lokalen, grenzüberschreitenden, nicht-staatlichen sowie regionalen, multilateralen Initiativen. Eine besondere Bedeutung wird dabei der Zusammenarbeit von Track 2- und Track 3-Akteuren zugeschrieben, denen es gelingt, den grenzüberschreitenden Handel zum Ausgangspunkt für die Entwicklung einer regionalen Friedenökonomie zu machen. Zu den erwarteten Ergebnissen der Pilotstudie zählt:
a) die Beurteilung, inwieweit die am BCIM EC-Projekt beteiligten Akteure Konfliktlösungsansätze als integralen Bestandteil ihrer Politiken betrachten und welche Konzepte sie hierzu verfolgen,
b) die Analyse des friedensökonomischen Potentials zweier Grenzübergangsregime sowie
c) die Formulierung von Ansätzen zum Abbau von Spannungen durch friedensökonomische Initiativen und transkulturelle Bezüge.
Die Originalität der Studie besteht darin, dass durch zwei Fallstudien konkrete lokale Probleme und Perspektiven des BCIM EC-Projekts eruiert werden sowie Perspektiven der traditionell getrennten regionalen Forschungsgebiete der Südasien- und Ostasien-Studien zusammengeführt werden.