Publikationen
Schutte, Sebastian , Constantin Ruhe und Andrew M. Linke. 2021. How indiscriminate violence fuels conflicts between groups: Evidence from Kenya. Social Science Research, 2021, 102653. Link.
Schutte, Sebastian, Constantin Ruhe und Niranjan Sahoo. 2020. How Fear of Violence Drives Intergroup Conflict: Evidence from a Panel Survey in India. SocArXix Papers, Link.
Schutte, Sebastian, Constantin Ruhe und Andrew Linke. 2020. How Indiscriminate Violence Fuels Religious Conflict: Evidence from Kenya. SocArXix Papers, Link.
Schutte, Sebastian (2019): Politics or prejudice? Explaining individual-level hostilities in Indias Hindu-Muslim conflict. In: International Interactions. https://doi.org/10.1080/03050629.2019.1620743
Schutte, Sebastian; Haer, Roos (2018): Research report: a software solution for rapid policy assessment with reimbursed SMS and mobile cash, International Journal of Social Research Methodology, 21:6, 685-694, DOI: 10.1080/13645579.2018.1471372
Medienresonanz: Vom Vorurteil zum Bürgerkrieg: Politikwissenschaftler untersucht Entstehung gewalttätiger Konflikte, Westfälische Nachrichten, 12.10.2016
Zusammenfassung
Wie eskalieren politische Konflikte entlang ethnischer und religiöser Linien?
Die zeitgenössische Konfliktforschung ist entlang bestimmter Formen von politischer Gewalt organisiert: Terrorismus, Genozid, Aufstände und Massenproteste werden meist von verschiedenen Forschern in unterschiedlichen Projekten untersucht. Bei Bürgerkriegen tritt dabei oft eine zentrale Unterscheidung zwischen „ethnischen“ und „ideologischen“ Bürgerkriegen auf. Im „Ideologischen Bürgerkriegsmodell“ kämpfen Aufständische und Zentralregierung um die Unterstützung der Zivilbevölkerung. Dabei können Zivilisten heimlich Unterstützer der Rebellen oder Informanten der Regierung sein und auch die Seiten wechseln, wenn die Lage dies gebietet. Im „Ethnischen Bürgerkriegsmodell“ kämpft eine ganze ethnische Gruppe gegen die Regierung. Damit ist auch die Loyalität klar vergeben und Unterstützung der Gegenseite sehr unwahrscheinlich.
In der Realität verändern sich allerdings oft Konflikte über Zeit: Aus anfänglich politisch motivierten Aufständen werden ethnische und religiöse Bürgerkriege. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Konflikt im Irak: 2003 formierte sich Widerstand gegen die US Invasion und die anschließende Besatzung in Teilen des Militärs und des öffentlichen Dienstes. Die Zerstörung des Landes und das folgende Berufsverbot für Anhänger von Saddams Baath-Partei traf diese Bereiche besonders hart. Der erste politisch und ökonomisch motivierte Aufstand setzte schon 2003 ein. Allerdings kam es ab 2006 und 2007 auch zu verstärkten Spannungen zwischen Anhängern der wichtigsten Strömungen im Islam, den Sunniten und Schiiten, die sich in Terrorangriffen auf die Al-Askari Moschee in Bagdad zeigten und in den folgenden Jahren zehntausende Menschenleben forderten. Ab 2014 hat sich mit ISIS eine neue Allianz aus Militärveteranen und religiös motivierten Aufständischen formiert, die einigen ethnisch-religiösen Gruppen (z.B. den Jesiden) jedes Existenzrecht abspricht. Dies zeigt deutlich, dass Konflikte über die politische Ordnung in der Folge auch Kriege zwischen ethnischen und religiösen Gruppen nach sich ziehen können. Aber wie funktioniert dieser Prozess genau?
Mehrere mögliche Erklärungen lassen sich aus der Literatur ableiten. Eine Möglichkeit wäre, dass einzelne Menschen nach persönlichen Gewalterfahrungen anderen Gruppen feindselig gegenüberstehen. Empfinden viele Menschen gleichzeitig solche Feindseligkeiten, könnte dies eine Veränderung der Konfliktlinien nach sich ziehen. Feindseligkeit beim Einzelnen könnte dann entstehen, wenn etwa vom Verhalten einzelner Gruppenmitglieder, die z.B. Terrorangriffe verüben, auf die Absichten der ganzen Gruppe geschlossen wird. Eine andere Erklärung wäre, dass politische Eliten aktiv andere Gruppen diffamieren und so den Konflikt gezielt verlagern. Auch wäre denkbar, dass Angst vor zukünftigen Zusammenstößen mit anderen Gruppen dazu führt, dass die eigene Sicherheit erhöht wird. Von außen können solche Maßnahmen nach Kriegsvorbereitung aussehen, was die jeweils anderen Gruppen veranlasst, ihre Sicherheit zu erhöhen. Solch ein „Sicherheitsdilemma“ wäre eine weitere Erklärung.
Um diese Theorien zu überprüfen, unterstützt die DSF jetzt Dr. Sebastian Schutte (Uni Konstanz) in einem groß angelegten elektronischen Umfrageprojekt in Indien und Kenia. Beide Länder weisen Konflikte mit geringer Intensität auf, die auch Spannungen zwischen ethnischen und religiösen Gruppen verursachen. Um die Umfragen in Indien und Kenia durchführen zu können, hat Sebastian Schutte im vergangenen Jahr eigens ein Computersystem für Umfragen per SMS entwickelt. In den beiden Ländern besitzt längst nicht jeder Zugang zum Internet. Eine Onlineumfrage, wie sie in Deutschland üblich ist, würde daher nur einen sehr kleinen und spezifischen Teil der Bevölkerung erreichen. Die Ergebnisse ließen sich nicht verallgemeinern. Ein Mobiltelefon hingegen besitzt in Indien und Kenia fast jeder. Da es in diesen Ländern ein Bezahlsystem per SMS gibt, können die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Umfrage auch direkt vergütet werden.
Im Rahmen der Untersuchung soll zunächst eine hinreichende Personenzahl für eine Teilnahme an den Surveys gewonnen werden. Im Laufe der folgenden sechs Monaten sollen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen mehrfach Auskünfte über ihre Erfahrungen und Einstellungen gegenüber anderen Gruppen geben. Hierbei werden insbesondere Erlebnisse mit den Mitgliedern anderer ethnisch-religiöser Gruppen und Einwirkung von politischen Eliten abgefragt. Die Analyse von individuellen Erlebnissen zu mehreren Zeitpunkten ermöglicht eine genaue Untersuchung der Mechanismen, die zu feindseligen Einstellungen gegenüber anderen Gruppen führen. Mit dieser neuen Methodik können Konfliktdynamiken mit einer bisher nicht gekannten Genauigkeit erforscht werden. Obwohl Indien und Kenia keine hoch intensiven Konflikte aufweisen, lassen sich an diesen Fallbeispielen Einblicke gewinnen, wie Konflikte in bewaffnete Auseinandersetzungen oder gar Bürgerkriege eskalieren.
Langfristig könnten die gewonnen Einsichten auch für die Vorhersage von Gewalteskalation verwendet werden. Der internationalen Forschungsgemeinschaft stehen mittlerweile Echtzeitdaten für Konfliktereignisse und Terrorismus zu Verfügung. Über die Ergebnisse der Umfragen könnte man besser abschätzen, wie diese Ereignisse sich auf zukünftige Gewalt zwischen Gruppen auswirken.
Aus wissenschaftlicher Sicht legt die DSF somit den Grundstein für ein längerfristiges Forschungsprogramm. Daraus sollen einerseits Veröffentlichungen in Fachjournalen hervorgehen, aber auch Beiträge zu öffentlichen Debatten rund um Mediale Verantwortung im Umgang mit Terrorismus und politischer Prävention von Gewalteskalationen.