Das Thema des diesjährigen Kolloquiums der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) steht vor dem Hintergrund der jüngsten politischen Ereignisse in Europa: Zu nennen sind die Versicherheitlichung von Grenzen innerhalb sowie an den Außengrenzen Europas, die Klassifizierung und hieraus resultierende unterschiedlichen Behandlung von Geflüchteten und anderen „displaced persons“, die Zunahme rassistischer und rechtspopulistischer Bewegungen und Diskurse sowie die Herausforderungen gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Angesichts dieser komplexen Entwicklungen auf der europäischen Ebene findet die traditionsreiche AFK-Jahrestagung in diesem Jahr in Kooperation mit der European Peace Research Association (EuPRA), dem Dachverband europäischer Friedens- und Konfliktforscher*innen, statt. Zu der Tagung sind vom 16. bis zum 18. März 2017 ca. 150 internationale Teilnehmende zum fachlichen Austausch in die Evangelische Akademie Villigst in Schwerte (bei Dortmund) geladen.
Aufgrund dieser gesellschaftspolitischen Herausforderungen ist die Zielsetzung des Kolloquiums, die gegenwärtige Friedens- und Konfliktforschung von den Rändern her neu zu denken. Das Kolloquium zielt darauf ab, wissenschaftliche Ansätze zu diskutieren und zu entwickeln, die sich durch Reflexivität, kritisch-normative Auseinandersetzung sowie fundierte empirische Basis auszeichnen und Antworten auf gegenwärtige gesellschaftliche Herausforderungen geben können, die die „klassische“ Wissenschaft übersieht. Hierbei wollen wir bestehende Vorstellungen und Forschungspraktiken der Friedens- und Konfliktforschung aus der Sicht von Theorien auf den Prüfstand stellen, die uns die klassischen epistemischen Annahmen „westlicher“ Wissenschaft bewusst machen und kritisch hinterfragen.
Perspektiven der Zentren und Ränder sollen bewusst miteinander in Bezug gesetzt und konfrontiert werden, um – etwa mit post- und dekolonialen Ansätzen – globale Ungleichheiten und Machtasymmetrien herauszuarbeiten. So verdeutlichen die jüngsten politischen wie gesellschaftlichen Entwicklungen, dass die europäische sowie die Weltgesellschaft vor gesellschaftlichen Herausforderungen stehen, die nur durch eine Einbeziehung nicht-westlicher bzw. nicht-westlich überlagerter Denkweisen angegangen werden können. In diesem Zusammenhang soll während des Kolloquiums auch die Involviertheit Europas nicht nur in gegenwärtige globalökonomische Zusammenhänge, sondern auch in gewaltsame Konflikte herausgearbeitet und aufgezeigt werden, inwiefern sich europäische Außen-, Sicherheits- sowie Wirtschafts- und Entwicklungspolitik auf Migrations- und Fluchtbewegungen auswirken.
So verstehen wir die gegenwärtige Situation, die in den Medien als „Flüchtlingskrise“ bezeichnete wird, als einen Weckruf an die europäische Friedens- und Konfliktforschung, die eigene Blindheit gegenüber nicht-westlichen Vorstellungen zu überwinden und das eigene positive Selbstverständnis, das auf Gedanken des Humanitarismus und dem Glauben an eine „mission civilisatrice“ beruht, kritisch zu hinterfragen.
Die Tagung umfasst drei unterschiedliche Foki. So beschäftigt sich eine Reihe von Vorträgen und Panels mit sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Exklusion, die etwa durch gewaltsame Migration oder ethnisierte Gewalt hervorgerufen werden. Ein zweiter Fokus liegt auf der theoretischen und methodologischen Schärfung und Weiterentwicklung kritischer Ansätze in Hinblick auf die o.g. gesellschaftlichen Herausforderungen. So geht es um die grundsätzliche Frage, welche alternativen Ansätze es gibt, Friedens- und Konfliktforschung zu betreiben. Schließlich befasst sich eine Reihe von Vorträgen und Veranstaltungen mit der Frage, wie Interventionen und Friedensbildung von den Rändern her neu konzipiert werden könnten. Hierüber sollen implizite Annahmen und normative Vorstellungen sowie latente politische Agenden und strukturelle „blinde Flecken“ des „Peacebuilding“ identifiziert und diskutiert werden.
Als Auftaktrednerin für dieses Kolloquium konnte Meera Sabaratnam (SOAS University of London) gewonnen werden. An der Plenarveranstaltung am 18. März wird zudem die Friedensnobelpreisträgerin Tawakkol Karman teilnehmen.
Abstract
In March 2017, the German Association for Peace and Conflict Studies (Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung, AFK) will hold its first joint conference with the European Peace Research Association (EuPRA). On this occasion, 150 international participants are invited to present and discuss their academic work, while reflecting on Europe´s role and responsibilities in light of global power structures. These political developments in Europe include the securitization of borders, the selection and categorization of refugees and other displaced persons, and the growing racist and right-wing popular movements and discourses.
The conference aims to bring together approaches to develop reflexive, critical, empirical, and normative thought to confront and probe our positions and practices and to reflect on their location vis-à-vis the centers and margins of power. In addition, new developments urge us to acknowledge and appreciate challenges and alternatives to Western or Westernized thought. It is also high time to acknowledge and investigate European involvements in current economic and violent conflicts and the various ways in which these involvements also contribute to migration and refugee movements. The so-called refugee crisis is a wake-up call for European peace and conflict studies to confront inherent tendencies that marginalize non-western thought and privilege a flattering self-image shaped by humanitarianism and a good dose of mission civilisatrice.
The contributions to the conference can be clustered in three different thematic groups: First, against the backdrop of European responsibilities in the current crises, scholars present their work on social inequality and exclusion with a special focus on situations caused by forced migration. Second, scholars will reflect the ways in which widely applied methods and common research practices are imbued with inequality and colonial thought. Regarding methodology and research practice, there will be an exchange on how to develop and apply alternative ways of doing peace and conflict studies. Third, several contributions deal with the question of how to rethink interventions and “peacebuilding” from the margins to the center.
Besides 23 panels on which scholars will present and discuss their current research, there will be two plenary events. The conference will be opened with a keynote speech by Meera Sabaratnam, lecturer in International Relations and North-South relations at SOAS University of London. On the last day, there will be a plenary debate among three distinguished personalities representing the academic, the political, and the activist perspective on the conference topic. AFK and EuPRA are especially honored to welcome Mrs. Tawakkol Karman, Nobel Peace Laureate 2011, to this plenary on “‘Liberal Peace’? Civil Wars and Hybrid Peace in A Post-Colonial Era of Global Transition”.