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Werle, Gerhard / Zimmermann, Andreas (2019): The International Criminal Court in Turbulent Times. Berlin, Heidelberg (Springer).
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Programm
Zusammenfassung
Die Tagung „The International Criminal Court in Turbulent Times“, ausgerichtet von Prof. Dr. Gerhard Werle, Humboldt-Universität zu Berlin, und Prof. Dr. Andreas Zimmermann, Universität Potsdam, wird anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Annahme des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) im Mai 2018 in Den Haag stattfinden. Sie dient dazu, eine kritische Zwischenbilanz der Tätigkeit des Gerichtshofs zu ziehen, und bietet eine Plattform für den wissenschaftlichen Diskurs über die viel konstatierte aktuelle Krise des Internationalen Strafgerichtshofs und deren Bewältigung sowie mögliche Perspektiven seiner zukünftigen Entwicklung.
Die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen, denen sich der seit nunmehr fast 15 Jahren tätige Gerichtshof stellen muss, sollen analysiert und bewertet werden.
Bereits die Gründung des IStGH erfolgte im Jahr 1998 gegen erheblichen Widerstand politisch mächtiger Akteure wie der Vereinigten Staaten, der Russischen Föderation, Indiens und Chinas. Heute befindet sich der IStGH an einem Wendepunkt. Gerade von afrikanischen Staaten, die bisher die größte regionale Staatengruppe bildeten und von Beginn an zu den engagiertesten Unterstützern des Gerichtshofs gehörten, wird scharfe Kritik geäußert. Viele dieser Staaten werfen dem Gerichtshof beziehungsweise der Anklagebehörde vor, sich aus politischen Gründen fast ausschließlich mit Situationen auf dem afrikanischen Kontinent zu befassen. Diese Entwicklungen kulminierten 2016 in den Austrittserklärungen dreier afrikanischer Staaten, namentlich Südafrikas, Gambias und Burundis. Im Oktober 2017 ist Burundi als erster Staat aus dem Statut des Gerichtshofs ausgeschieden. Obschon Südafrika und Gambia ihre Austrittserklärungen inzwischen rückgängig gemacht haben und der befürchtete Massenaustritt bisher ausgeblieben ist, erscheinen weitere Austritte nicht ausgeschlossen. Daneben zog 2016 die Russische Föderation, dem Beispiel der USA, Israels und des Sudan folgend, ihre Zeichnung des Statuts zurück, nachdem die Anklagebehörde im Rahmen ihrer Vorermittlungen zum Konflikt mit der Ukraine davon ausgegangen war, bei der Krim handele es sich um von Russland besetztes ukrainisches Territorium.
Die Tagung soll die geäußerten Kritikpunkte aufgreifen und zugleich die aktuellen Entwicklungen in ihrer historischen Perspektive zum Gegenstand haben. Darüber hinaus soll eine wissenschaftlich fundierte Prognose zur Zukunft des IStGH gewagt werden.
Die stetigen Rufe nach einem Einschreiten des IStGH beispielsweise in Syrien belegen zwar, dass der IStGH sich als Instrument zur Konfliktbewältigung etabliert hat. Gleichwohl muss er seine Rolle im System kollektiver Friedenssicherung, nicht zuletzt im Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen Frieden und Gerechtigkeit, noch finden. Zukünftig wird in dieser Hinsicht insbesondere die Zuständigkeit des IStGH für das Verbrechen der Aggression von Interesse sein, die voraussichtlich noch im Jahr 2017 aktiviert werden wird.
Für kontinuierliche Diskussionen sorgt auch das Verhältnis des IStGH zu anderen Institutionen, vor allem dem UN-Sicherheitsrat, sowie zu Drittstaaten. In diesem Zusammenhang ist nunmehr insbesondere die Situation in Afghanistan von Bedeutung, in welcher die Anklagebehörde kürzlich die Genehmigung der Vorverfahrenskammer des Gerichtshofs zur offiziellen Einleitung von Ermittlungen beantragte. Im Fokus stehen dabei unter anderem mögliche Straftaten von US-Soldaten, die in geheimen Gefängnissen in Afghanistan, Polen, Rumänien und Litauen Gefangene gefoltert haben sollen. Derzeitige Vorermittlungen könnten zudem in Verfahren gegen israelische, britische und russische Staatsangehörige münden. Weiterhin werden einige im Statut angelegte Konzepte und deren Interpretation durch den Gerichtshof, so beispielsweise im Hinblick auf die Immunität von amtierenden Staatsoberhäuptern, seit langem kontrovers diskutiert.
Die Tagung wird Expert/-innen auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts, sowohl von Seiten der Wissenschaft als auch von Seiten der internationalen Strafrechtspraxis, zusammenbringen. Die Ausrichtung der Tagung in Den Haag, dem Sitz des IStGH, ermöglicht die Teilnahme von Vertreter/-innen der Richterschaft und der Anklagebehörde. Dies dient insbesondere dem Ziel, Verknüpfungen zwischen praktischen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu schaffen, um auf diesem Wege zugleich konkrete Handlungsempfehlungen für die weitere Entwicklung des IStGH zu erarbeiten. Insoweit dient die Tagung auch dem Wissenstransfer.
Angesichts des Themengebiets ist eine internationale Ausrichtung der Tagung geradezu unerlässlich. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Einbeziehung von Wissenschaftler/-innen und Praktiker/-innen aus dem nichteuropäischen Ausland, nicht zuletzt auch um die vornehmlich von einigen afrikanischen Staaten geäußerte Kritik an der bisherigen Praxis des IStGH ergründen zu können. An den beiden Veranstaltungstagen werden durch hochrangige Expert/-innen Vorträge zu konkreten Problemkreisen gehalten, an die sich jeweils eine vertiefende Diskussion anschließt.
Abstract
The conference “The International Criminal Court in Turbulent Times”, organized by Prof Dr Gerhard Werle, Humboldt University Berlin, and Prof Dr Andreas Zimmermann, University of Potsdam, will take place in The Hague on the eve of the 20th anniversary of the adoption of the Rome Statute of the International Criminal Court (ICC) in May 2018. The purpose of the conference is to take stock of the ICC’s activities. It will provide a platform for an academic discourse on what many have deemed a crisis as well as perspectives of the Court’s future development. The conference will analyze and evaluate the current and future challenges the ICC is facing after almost 15 years of operation.
The ICC was established in 1998 despite considerable resistance from many powerful political players such as the United States, the Russian Federation, India, and China. Today, the Court is at a turning point. Several States Parties, particularly African states which represent the largest regional group and which have been among the most dedicated supporters of the ICC’s establishment, have voiced serious criticism. Many of these states accuse the Court and its Prosecutor of political bias for almost exclusively selecting situations on the African continent. In 2016, these developments culminated in three notices of withdrawal from the ICC, namely on the part of Burundi, South Africa, and The Gambia. Burundi’s withdrawal took effect in October 2017. Although South Africa and The Gambia subsequently revoked their withdrawals and the “mass exodus” many had feared did not occur, the possibility of further withdrawals remains. In addition, the Russian Federation – following the United States, Israel, and Sudan – revoked its signature of the Rome Statute in 2016 after the Prosecutor had stated, in the context of the preliminary investigation in Ukraine, that the territory of Crimea is occupied by Russia.
The conference will evaluate these points of criticism. It will also discuss current developments in their historical perspective and offer an academically substantiated prognosis regarding the Court’s future.
The constant calls for an ICC intervention in conflicts such as Syria illustrate that the Court has become an established instrument of conflict resolution. Nevertheless, the ICC has yet to find its role in the system of collective peacekeeping, particularly regarding the tension between peace and justice. These issues will soon attract specific attention in the context of the ICC’s jurisdiction over the crime of aggression, which is expected to be activated in December 2017.
Frequent discussions also revolve around the relationship between the ICC and other institutions, particularly the UN Security Council, as well as third states. Regarding the latter, the situation in Afghanistan is now of particular interest. The Office of the Prosecutor has recently requested judicial authorization to open official investigations, which would cover, among others, US soldiers who allegedly tortured prisoners in detention facilities located in Afghanistan, Poland, Romania, and Lithuania. Other current preliminary examinations may result in cases against Israeli, UK, and Russian citizens. Furthermore, some concepts included in the Rome Statute and their interpretations by the ICC, for example relating to head of state immunity, have caused continued controversy.
The conference will bring together experts from both academia and practice in the field of international criminal law. The location in The Hague facilitates the participation of representatives of the Court and the Office of the Prosecutor. The conference will thus combine practical experiences and academic insights, enabling the participants to develop concrete policy recommendations for the future development of the ICC. In this respect, the conference aims to provide for a transfer of knowledge.
Considering the subject matter of the conference, an international approach is essential. An emphasis is placed on including academics and practitioners from non-European countries, not least in order to develop a better understanding of the criticism voiced by many African states regarding the Court’s practice. On both conference days, high-profile experts will give presentations on specific problems, each followed by in-depth discussions.