Die Wirkungsweise gewaltfreier Praxis: Zentrale Konfliktaustragungskonzepte im interkulturellen Vergleich
Forschungseinrichtung: Universität Siegen
Projektleitung: Prof. Dr. Heinz-Günther Stobbe
Laufzeit: April 2004 – März 2006
Forschungseinrichtung: Universität Siegen
Projektleitung: Prof. Dr. Heinz-Günther Stobbe
Laufzeit: April 2004 – März 2006
Arnold, Martin (2011): Gütekraft. Ein Wirkungsmodell aktiver Gewaltfreiheit nach Hildegard Goss-Mayr, Mohandas K. Gandhi und Bart de Ligt. Nomos. Zur Publikation.
Arnold, Martin (2011): Gütekraft. Hildegard Goss-Mayrs christliche Gewaltfreiheit. Bücken & Sulzer. Zur Publikation.
Arnold, Martin (2011): Gütekraft. Gandhis Satyagraha. Bücken & Sulzer. Zur Publikation.
Arnold, Martin (2011): Gütekraft. Bart de Ligts humanistitische Geestelijke Weerbaarheid. Bücken & Sulzer. Zur Publikation.
www.fb1.uni-siegen.de/kaththeo
Problemstellung
Ein Einwand, der in der Diskussion über Gewalt und Gewaltfreiheit in der Friedens- und Sicherheitspolitik sehr häufig gegen Gewaltfreiheit bei der Konfliktaustragung gerichtet wird, betrifft die Wirksamkeit gewaltfreier Methoden und Verhaltensweisen. Die vorherrschende Skepsis unterstellt, Gewaltfreiheit als Handlungsmaxime tauge allenfalls zur Lösung leichter Konflikte z.B. im gesellschaftlichen Nahbereich, sei aber bei harten, gewaltträchtigen oder gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Regel unbrauchbar oder gar kontraproduktiv. Sie lasse sich deshalb nur gesinnungsethisch (im Sinne Max Webers) rechtfertigen, das heißt, indem von den Folgen des eigenen Handelns abgesehen wird. Diese skeptische Sichtweise erscheint auch deshalb plausibel, weil es natürlich schwer fällt, sich eine positive Wirkung von etwas zu denken, das begrifflich negativ bestimmt wird, nämlich als Gewaltfreiheit im Sinne des Verzichts, Gewalt anzuwenden.
Demgegenüber knüpft diese Untersuchung an die Beobachtung an, dass die meisten ProtagonistInnen gewaltfreier Aktion in ihren konzeptionellen Überlegungen positive Begriffe benutzen wie z. B.: · „Satjagrah“ (M. K. Gandhi; Sanskrit, engl. Schreibweise: satyagraha; von Gandhi u.a. als „Seelenkraft“ erklärt), · „Gütekraft“ (H. Goss-Mayr), · „strength to love“ (Martin Luther King), · „Alay Dangal” [Tagalog:] „Würde anbieten” (Philippinen). In der Friedens- und Konfliktforschung gibt es entsprechend Bezeichnungen wie „integrative power“ (K. E. Boulding) oder „unverletzende Selbstbehauptung” (E. Marsal). In der Untersuchung werden unter dem Arbeitsbegriff „Gütekraft“ die positiven Veränderungspotenziale von Vorgehensweisen in den Blick genommen, die nicht die Schädigung der anderen Seite intendieren.
Die Untersuchung geht von der Hypothese aus, dass in solchen Bezeichnungen gleichsam „Prototheorien“ (A. Fuchs) darüber enthalten sind, worauf die Wirkung gewaltfreier Aktion beruht bzw. wodurch sie begrenzt wird. In ihr werden Vorstellungen aus verschiedenen weltanschaulichen Traditionen genauer herausgearbeitet, die implizit oder explizit gewaltfreien Aktionen zu Grunde liegen, und es wird analysiert, wie ihre Erfolge bzw. Misserfolge erklärt werden. Dabei wird das Augenmerk auf das Verhältnis zwischen dem gewaltfreien Handeln und den weltanschaulich geprägten Vorstellungen von seiner Wirkungsweise gerichtet. Dazu gehört auch die Frage, welcher Stellenwert in den verschiedenen Konzepten einerseits der eigenen kulturellen Verwurzelung andererseits derjenigen der an einem Konflikt beteiligten Personen zugewiesen wird: Die Antwort beeinflusst wesentlich die theoretische und praktische Reichweite des Konzepts. Insofern die Studie nicht nur theoretische Positionen als solche thematisiert, sondern das Zusammenspiel von Theorie und Praxis am Beispiel gewaltfreier bzw. gütekräftiger Aktivitäten, die wirklich stattgefunden haben, thematisiert, will sie auch zur Entkräftung des Vorurteils vom realitätsfernen Illusionismus beitragen, dem sich die BefürworterInnen gewaltfreier Politik häufig ausgesetzt sehen, und einen Beitrag zur realistischeren Einschätzung leisten.
Vorgehen
Die Untersuchung konzentriert sich auf drei erfolgreich angewandte Konzepte gewaltfreier Aktion bzw. gütekräftiger Konfliktbearbeitung. Ihre Datenbasis ist das Lebenswerk 1.) von Hildegard Goss-Mayr, 2.) von Mohandas K. („Mahatma“) Gandhi, sowie 3.) von Bart de Ligt. Die Auswahl trägt dem Ziel Rechnung, Positionen mit unterschiedlichen weltanschaulichen und kulturellen Hintergründen darzustellen und miteinander zu vergleichen, im vorliegenden Fall also solche aus der römisch-katholischen Religion, dem Hinduismus und dem atheistischen Anarcho-Sozialismus. Dem entspricht der zweiteilige Aufbau der Studie: Im ersten Hauptteil werden die drei Positionen dargelegt, um jeweils am Schluss die Leitfrage nach den Vorstellungen von der Wirkungsweise des gütekräftigen Vorgehens bzw. gewaltfreier Aktion zu beantworten. Das Ergebnis wird im zweiten Hauptteil mit Hilfe eines Vergleichs ausgewertet. Die Untersuchung und Einschätzung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden soll dazu beitragen, die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit der Konzepte zu beantworten, d. h. auch die nach den Möglichkeiten und den Grenzen gewaltfreier / gütekräftiger Konfliktbearbeitung.
Methodik
Mit hermeneutischen Methoden werden schriftliche und mündliche Äußerungen wie autobiographische Berichte, Abhandlungen, Reden, Interviews usw. interpretiert. Einen wichtigen Schritt stellt dabei die Analyse der verwendeten Begriffe dar mit dem Ziel, jeweils sowohl ihren weltanschaulichen Gehalt wie auch ihre situative Verwendung zu erschließen. Beides ist sowohl für eine angemessene Interpretation wie auch für den Vergleich wichtig. Dieser wird im Wesentlichen mit Methoden aus der Ethnologie und der Religionswissenschaft durchgeführt.
Erwartete Ergebnisse und Relevanz der Studie
Über die Positionen von H. Goss-Mayr und B. de Ligt bietet die Untersuchung erstmals eine ausführliche Darstellung. Zu allen drei Positionen wird erstmals eine Analyse vorgelegt, die die in ihnen vertretenen Auffassungen zur Wirkungsweise gütekräftigen bzw. gewaltfreien Vorgehens, auch in der Politik, umfassend und genau darstellt. Einerseits bereichert sie so die Forschung zur Entwicklung des Denkens über Gewaltlosigkeit / Gewaltfreiheit / Gütekraft. Andererseits leistet sie auch einen theoretischen Beitrag in der sachlichen Diskussion über die Bedeutung dieser Anschauungen im Zusammenhang entsprechender Politik. Sie zeigt aus der Sicht der genannten, erfolgreich tätigen Personen die Bedeutung bestimmter theoretischer Aspekte gewaltfreien Handelns auf, die in dieser Diskussion bisher kaum wahrgenommen oder in ihrem Gewicht unterschätzt wurden. Die Untersuchung könnte sich für Vorbereitung, Praxis und Auswertung sowohl gewaltfreier Aktionen als auch von konstruktiver Konfliktbearbeitung allgemein für Konflikte auf allen Ebenen als hilfreich erweisen, z. B. in den Handlungsbereichen der UNO-Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit sowie der Dekade zur Überwindung der Gewalt, die der Weltkirchenrat ausgerufen hat.
www.martin-arnold.eu bietet eine Beschreibung des Projekts auch mit Literaturangaben und weiteren Informationen zu den angegebenen (und weiteren) Personen, deren Positionen untersucht werden, sowie eine Kurzfassung in Englisch und eine Vorstellung des Bearbeiters.
Weitere Informationen zum inhaltlichen Rahmen des Projekts: siehe www.guetekraft.net.