Zusammenfassung
Humanitäre Hilfe ist zu einem Feld der internationalen Intervention geworden, das fast 30 Mrd. US-Dollar im Jahr umsetzt und 300.000 westliche MitarbeiterInnen beschäftigt. Aufgeladen mit hohen moralischen Werten wie transnationaler Solidarität, Menschlichkeit und dem Retten von Leben hat sich ein dichtes Netz von Organisationen entwickelt, das in fast allen Regionen dieser Welt operiert und insbesondere in den ‚protracted crises‘ in schwachen Staaten zunehmend dauerhaft und systematisch präsent ist. In Syrien, Süd-Sudan und dem Osten des Kongo sind humanitäre Hilfsorganisationen seit Jahren zentrale Pfeiler der westlich finanzierten Überlebenssicherung. Dieser wachsende empirische Stellenwert in für die deutsche Friedens- und Konfliktforschung wichtigen Forschungskontexten bildet sich in der bisherigen Debatte kaum ab. Diese Pilotstudie möchte einen Beitrag zur Verankerung der Analyse der humanitären Hilfe in der Friedens- und Konfliktforschung leisten.
Die geplante Studie speist sich aus einer einfachen Beobachtung: Obwohl internationale humanitäre Hilfe und nationale Sozialpolitik und Armenfürsorge auf sehr ähnliche Weise operieren – es wird Essen verteilt, kleine Geldsummen werden nach Ermessen zugewiesen oder Unterkünfte für Flüchtlinge oder Wohnungslose bereit gestellt – werden sie weder in der politischen Debatte noch in der wissenschaftlichen Literatur zusammengedacht. Die Analyse der humanitären Hilfe ist bislang auf transnationale Prozesse beschränkt. Die ‚soziale Frage‘ war seit dem 19 Jahrhundert jedoch nicht zuerst eine transnationale. Verelendung und Armenfürsorge wurden zunächst vor allem im städtischen und nationalen Kontext diskutiert.
Dieses Forschungsprojekt nimmt diesen geschichtlichen Prozess ernst, indem es humanitäre Hilfe historisch im Zusammenhang mit der Entwicklung von Sozialstaatlichkeit und Sozialpolitik untersucht und die zeitgenössischen Wechselwirkungen anhand einer Fallstudie der Einbettung der Welthungerhilfe sowohl in Deutschland als auch in die sozialpolitischen Prozesse in der Demokratischen Republik Kongo in den Blick nimmt. Wir fragen also in dieser Studie: Sind Sozialpolitik und humanitäre Hilfe praktisch und diskursiv verbunden und lässt sich zeitgenössische humanitäre Hilfe damit sinnvoll als eine transnationale Form der Sozialpolitik verstehen?
Komplementär zu den üblicherweise ‚internationalen‘ Geschichten der humanitären Hilfe, die ihre Genese und zunehmende Prominenz im Wachstum ‚globaler‘ Sensibilität und dem ‚CNN-effect‘ verortet, untersucht dieses Forschungsprojekt die humanitäre Hilfe als eng verbunden mit den sozialpolitischen Prozessen und Diskursen in den Herkunftsländern maßgeblicher humanitärer Akteure und im Zusammenspiel mit den wachsenden ‚social protection‘ policies, die unter Regierungen im Globalen Süden an Stellenwert gewinnen.
Die Analogie zwischen Sozialpolitik und humanitärer Hilfe drängt sich anhand jüngster Entwicklungen in der humanitären Hilfe geradezu auf. So transformiert sich mit der Nahrungsmittelhilfe der größte Sektor der humanitären Hilfe gerade, da nun zunehmend ‚cash and vouchers‘ verteilt werden und nicht länger die Überschussproduktion aus amerikanischer Produktion verwendet wird. Seit dem ersten World Humanitarian Summit im Mai 2016 in Istanbul, ist unter der Führung des UN-Generalsekretärs das ‚Cash-transfer-Programming‘ ins Zentrum der humanitären Reformbemühungen gerückt. Durch diese Mitteltransferform nähert sich die humanitäre Hilfe immer stärker den Transferleistungsformen im nationalen Sozialstaat an.
Durch einen adäquaten Methodenmix aus Archivbesuchen, Interviews und qualitativer Inhaltsanalyse wichtiger Strategie- und Projektpapiere zielt diese Pilotstudie auf eine erste begutachtete Publikation, einen Dialogworkshop mit humanitären und sozialpolitischen Akteuren und das Verfassen eines substantiellen Drittmittelantrages ab. Das für 12 Monate konzipierte Projekt, das 19.816,67 Euro kosten soll, die vor allem in eine WHK-Stelle investiert würden, hat drei Hauptkomponenten 1. Die Analyse der internationalen social protection und cash transfer-Debatte; 2 . Eine historisch empirische Fallstudie zur deutschen Sozialpolitik und der jüngsten Arbeit der Welthungerhilfe 3. Die Beziehung zwischen der Arbeit der Welthungerhilfe und der nationalen Sozialpolitik und social protection policy in der DR Kongo.
Dank der breiten Erfahrung des Antragsstellers im Bereich der humanitären Politikberatung und der theoriegeleiteten Analyse der humanitären Hilfe hat der anvisierte Dialogworkshop, der am Ende des Projektes humanitäre PraktikerInnen und ForscherInnen zusammenzubringen soll, das Potential, sowohl grundlegende Reflexionsprozesse als auch praktische Ideenentwicklung anzuregen.