Gender in der deutschen Friedens- und Sicherheitspolitik: Eine feministische Analyse deutscher Bundestagsdebatten zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, 1987-2017
Projektleitung: Dr. Frank Stengel, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Projektbearbeitung: Jana Jarren
Projekttyp: Profilprojekt
Fördersumme: 135 Tsd. Euro
Laufzeit: 30 Monate
Gender in der deutschen Friedens- und Sicherheitspolitik: Eine feministische Analyse deutscher Bundestagsdebatten zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, 1987-2017
Projektleitung: Dr. Frank Stengel, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Projektbearbeitung: Jana Jarren
Projekttyp: Profilprojekt
Fördersumme: 135 Tsd. Euro
Laufzeit: 30 Monate
Zusammenfassung
Genderkonstruktionen – sozial bzw. diskursiv produzierte Verständnisse von Maskulinität(en) und Femininität(en) – spielen eine bedeutende Rolle in der Außen- und internationalen Politik. Konstruktionen von Subjekten (z.B. Politiker*innen, Soldat*innen oder die lokale Bevölkerung in Konfliktregionen), Objekten (etwa Nuklearwaffen), sozialen Praktiken (Auslandseinsätze, Sanktionen, Diplomatie) und Institutionen (wie etwa dem Entwicklungshilfeministerium oder der Bundeswehr) sind in der Praxis eng verwoben mit Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Welche Handlungsoptionen zur Lösung bestimmter Politikprobleme als mehr oder weniger rational, angemessen, machbar und moralisch akzeptabel erscheinen, hängt nicht nur von ihrer objektiven Eignung ab, sondern wird auch durch gegenderte Verhaltenserwartungen beeinflusst. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Sicherheitspolitik, in dem maskuline Vorstellungen von Stärke und emotionaler Abgeklärtheit immer noch das Idealbild politischer Entscheidungsträger*innen („Staatsmänner“) bilden. Ebenso spielen Argumente, man(n) müsse „Frauen und Kindern“ helfen eine zentrale Rolle in der Legitimation westlicher Militärinterventionen. Dies ist, wie nicht zuletzt das Beispiel Afghanistan zeigt, nicht notwendig damit verknüpft, ob Interventionen tatsächlich zu einer langfristigen Verbesserung der Sicherheit vulnerabler Gruppen beitragen.
Diese Zusammenhänge sind in zwar in zahlreichen Fallstudien untersucht worden. Allerdings konzentrieren sich diese überwiegend auf US-amerikanische und britische Außenpolitik, während Deutschland als Fall wenig Beachtung findet. Umgekehrt spielen Genderkonstruktionen (ganz zu schweigen von Konzepten de- und postkolonialer Ansätze) in der Forschung zu deutscher Außenpolitik kaum eine Rolle. Und auch wenn liberale Vorstellungen von Geschlecht im Sinne der Rolle von Frauen in der politischen Praxis deutscher Außenpolitik, nicht zuletzt unter Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, zunehmend mit einbezogen werden, wird der Einfluss von Genderkonstruktionen in der außenpolitischen Praxis und Politikberatung wenig bis nicht reflektiert, obwohl dieser bisweilen problemadäquate Politiklösungen behindern kann.
Vor diesem Hintergrund verfolgt das Projekt zwei Ziele. Erstens soll auf der Basis einer Diskursanalyse deutscher Bundestagsdebatten zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr (1987-2017) herausgearbeitet werden, inwieweit und welche Genderkonstruktionen deutsche Friedens- und Sicherheitspolitik überhaupt beeinflussen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Da dies bislang nur in Ansätzen erforscht ist, schließt das Projekt eine bedeutende Forschungslücke. Zweitens sollen auf dieser Basis in Kooperation mit politischen Akteur*innen und Politikberater*innen konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet werden, wie der Einfluss potenziell kontraproduktiver gegenderter und/oder durch Kolonialität, Orientalismus oder Eurozentrismus geprägter Konstruktionen auf Entscheidungsprozesse verringert werden kann, etwa durch die Dekolonialisierung von Wissensbeständen und -produktion oder Erhöhung der Diversität der am Politik(beratungs)prozess Beteiligten. Idealerweise kann das Projekt damit einen praktischen Beitrag zur Formulierung einer konsistenten feministischen deutschen Außenpolitik leisten.
Abstract
Gender constructions – understood as socially/discursively produced conceptions of masculinity and femininity – play an important role in foreign policy and international politics. Social constructions of subjects (e.g., political elites, soldiers, or the “local population” in conflict regions), objects (for instance, nuclear weapons), social practices (military interventions, economic sanctions, diplomacy), and institutions (like the foreign office or the armed forces) are gendered – they are interwoven with notions of masculinity and femininity. As a result, which options to address certain policy problems come to be regarded as more or less rational, appropriate, doable and morally acceptable depends not just on their objective problem adequateness but is also influenced by gendered behavioral expectations. This is especially the case in the “tough” world of security policy, in which the ideal-typical leader (the “statesman”) is marked by masculine characteristics like strength, toughness, and emotional sobriety. Likewise, public support for Western military interventions is at least in part the result of articulations of “women and children” allegedly in need of help. As the Afghan example shows, arguments like this do not necessarily have to correspond to any real lasting improvements in the security of vulnerable groups. While the influence of gendered constructions on foreign policymaking has been the subject of numerous studies, most case studies focus on the United States or the United Kingdom, and little if any attention is devoted to Germany. On the flipside, gender as an analytical category (let alone de- and postcolonial concepts such as coloniality or Orientalism) plays virtually no role in research on German security policy. And while liberal feminist conceptions of gender as primarily concerned with the role of women has become increasingly important as a factor in German foreign policy (no least under the leadership of Foreign Minister Annalena Baerbock), there is little to no reflection on how gender constructions (e.g., notions of masculinity) impact foreign policymaking, despite the fact that such constructions can be a hindrance for the development of problem-adequate policy solutions.
Given this, the project pursues two main aims: First, based on a discourse analysis of German parliamentary debates on military operations, the project seeks to examine to what extent and how gender(ed) constructions influence German peace and security policy. In doing so, the project closes an important research gap. Second, the project seeks to cooperate with political actors and think tankers to develop policy recommendations aiming at a reduction of potentially counterproductive gendered constructions’ (or those influenced by coloniality, Orientalism, Eurocentrism, etc.) impact on German foreign policymaking, for instance through the decolonization of knowledge and knowledge production or increasing the diversity of actors involved in foreign policymaking. Ideally, this will contribute to the formulation of a consistent feminist foreign policy as envisioned by Foreign Minister Baerbock.