Publikationen
Nestler, Nina. 2023. Dual-Use-Risiko im Strafrecht, Berlin, Boston: De Gruyter, Link.
Lehner, Stefan. 2020. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Ausfuhrverantwortlichen. Band 1 der Schriftenreihe „Beiträge zum Wirtschaftsstrafrecht“ von Nick Bosch und Nina Nestler. Berlin: Duncker & Humblot.
Zusammenfassung
Das deutsche Außenwirtschafts(straf)recht sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, es habe sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mehr und mehr zu einem Spielball für politischen Aktionismus, sowohl des nationalen Gesetzgebers als auch des Unionsgesetzgebers, entwickelt; es habe den Bezug zu seinen ursprünglichen Schutzgütern (die wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland, das friedliche Zusammenleben der Völker sowie die auswärtigen Beziehungen Deutschlands) verloren. Stattdessen halten materienfremde Regelungszwecke Einzug in das Rechtsgebiet, das dadurch nicht nur an Präzision und Kontur verliert, sondern sich für exportierende Wirtschaftszweige zu einem unüberwindlichen Hindernis entwickelt.
Symptomatisch für diese Tendenzen und ihre Rezeption durch die Allgemeinheit ist die Diskussion um die so genannte Dual-Use-Problematik. Zivil motivierte Forschung und Wirtschaft lassen sich kaum mehr trennen von Bereichen, die nicht zugleich einem militärischen Interesse und Nutzen zugänglich sind. Ursprünglich entstammt der Terminus „Dual-Use“ der Exportkontrolle und bezieht sich auf Waren, Güter oder auch Verhaltensweisen, die zwar primär für einen zivilen Verwendungszweck erforscht, hergestellt oder vorgenommen worden sind, die aber aufgrund bestimmter Eigenschaften oder gar aufgrund der Intention ihrer Eigentümer, Empfänger oder Käufer auch für militärische Zwecke verwendet oder bedeutsam werden können. Rechtlich verortet ist der Begriff im Außenwirtschafts(straf)recht. Deshalb beginnt das Projekt hier mit der Suche nach Antworten auf jene diffizilen Definitions- und Abgrenzungsfragen.
Die Dual-Use-Eigenschaft bestimmter Forschungsgegenstände, Wirtschaftsgüter oder Verhaltensweisen zum Anlass für das Eingreifen von Strafrecht zu nehmen, bedeutet, an ein ggf. nur abstrakt denkbares Risiko anzuknüpfen. Dies erscheint nicht nur mit Blick auf das ultima-ratio-Prinzip problematisch. Es besteht die Befürchtung, dass das einschlägige (Außenwirtschafts)Strafrecht schutzzweckentleert als Vehikel zur Befriedigung allgemeiner, nur pauschaler oder gar bloß vermeintlicher „Sicherheitsbedürfnisse“ gebraucht wird, die sich außerhalb seiner eigentlichen Bestimmungen und Ziele bewegen. Gegenstand des Projekts sind u.a. die Fragen, welche (strafrechtlichen) Regelungsmechanismen in Bezug auf Wirtschaftsgüter oder Verhaltensweisen im Dual-Use-Kontext existieren und wie bzw. in welchen Lebens- und Arbeitsbereichen sie wirken.
Dabei bleibt die Vermutung zu verifizieren, dass sich in der Dual-Use-Problematik aktuelle und bedenkliche Tendenzen realisieren, wie etwa die Vorverlagerung des Eingreifens von Strafrecht in das Vorfeld einer eigentlichen Schädigungshandlung, die Implementierung diffuser Kollektivinteressen unter Opferung der ursprünglichen Schutzzwecke sowie die Einpflegung täterschaftlicher Spielarten des Strafrechts in unsere Rechtsordnung. Es ist daher zugleich ein Ziel dieses Projekts, die Entwicklung jenes Rechtsgebiets nachzuzeichnen, ihre Konsequenzen aufzudecken und entsprechenden Handlungsbedarf aufzuzeigen. Die Ergebnisse der Untersuchung können sowohl für den Gesetzgeber, als auch für exportierende Wirtschaftszweige Leitlinie und Handlungsgrundlage sein.