Parlamentarischer Abend der DSF: Die Zukunft der Ukraine in Europa
In Kooperation mit dem Zentrum für Osteuropa und internationale Studien (ZOiS) richtete die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) am 25. Januar 2023 den Parlamentarischen Abend „Die Zukunft der Ukraine in Europa“ in Berlin aus. Ziel der Veranstaltung war es, weniger den Kriegsverlauf als vielmehr die Folgen der russischen Aggression für die ukrainische Gesellschaft und die Rolle der Ukraine in der künftigen europäischen Ordnung in den Blick zu nehmen. Dr. Jens Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, eröffnete als Schirmherr den Abend. In seiner Rede hob er die Bedeutung der Friedens- und Konfliktforschung hervor, deren unabhängige wissenschaftliche Expertise gerade in der aktuellen Situation im politischen Raum und in der Öffentlichkeit stark nachgefragt sei. Das Ministerium habe auch mit Unterstützung des Deutschen Bundestages jüngst zwei „starke Signale“ gesetzt: So sei ein Förderprogramm für Verbundprojekte im Forschungsfeld (30 Mio. Euro) aufgelegt worden, eine weitere Ausschreibung zur Stärkung der natur- und technikwissenschaftlichen Friedensforschung (16 Mio. Euro) sei in Vorbereitung, um den ebenfalls unverzichtbaren Wissenstransfer aus diesem Forschungsgebiet aufrecht zu erhalten.
Als Moderator des Parlamentarischen Abends machte der Vorstandsvorsitzende der DSF, Prof. Dr. Ulrich Schneckener, darauf aufmerksam, dass die Stiftung bereits mit der Ausschreibung einer thematischen Förderlinie auf den Krieg Russlands in der Ukraine reagiert habe. Ziel sei es, neue Forschungen zum Thema in der Friedens- und Konfliktforschung und insbesondere auch die Kooperation mit angrenzenden Feldern wie der Osteuropaforschung zu unterstützen. Dieser Gedanke liege auch dem Parlamentarischen Abend zugrunde, mit dem der Blick über die aktuellen Kriegsdynamiken hinaus geworfen werde. Denn die Politik müsse sich schon heute darauf vorbereiten, mit welchen Herausforderungen sie in der ukrainischen Gesellschaft und bei der Integration des Landes in die europäische Ordnung konfrontiert sein werde.
In ihrem Impulsbeitrag erklärte die Direktorin des ZOiS, Prof. Dr. Gwendolyn Sasse, die hohe Widerstandsfähigkeit der Ukraine mit den Erfahrungen der wiederholten Massenmobilisierungen seit 2004. Die sozialen Netzwerke konnten bei der Eskalation des Krieges durch Russlands schnell wieder aktiviert werden. Die gesellschaftliche Mobilisierung basiere auf Vertrauen in die staatlichen Institutionen, sie sei zugleich mit großen Erwartungen an die Zukunft verbunden. Wie jedoch Umfragen zeigten, sei die soziale Kohäsion von einer gewissen Fragilität gekennzeichnet. Welche Folgen der Krieg auf die politischen Strukturen haben werde und wo künftige Konfliktlinien verlaufen könnten, sei bislang noch nicht klar zu erkennen. Auch die Zweiteilung der Gesellschaft in jene, die geflohen und vor Ort geblieben seien, habe das Potenzial für zusätzliche Spannungen. Dass laut einer Umfrage mehr als die Hälfte der ukrainischen Bevölkerung an eine EU-Mitgliedschaft binnen fünf Jahren glaubten, machte deutlich, wie groß die Verantwortung der europäischen Staaten sei, Perspektiven für eine Integration in die europäische Ordnung zu eröffnen.
Wie diese Integrationsperspektiven aussehen könnten, war das Thema des zweiten Impulsbeitrags. Prof. Dr. Andrea Gawrich, Universität Gießen, nannte drei wichtige Felder, die für die künftige Stellung der Ukraine in Europa eine zentrale Rolle spielen dürften: die Beitrittsperspektive in die EU, die Szenarien für den Wiederaufbau des Landes und die Einbindung in internationale Sicherheitsstrukturen. Im Hinblick auf eine Mitgliedschaft in die EU sei zwar eine Fast-Track-Option vorstellbar, doch auch diese werde sich an den klassischen Mustern und Konditionalitäten des Beitrittsverfahrens orientieren. Die EU könne vorab eine Teilhabe an einzelnen monetären Programmen eröffnen, eine Vollmitgliedschaft werde aber nur bei einer umfassenden Erfüllung der Standards gewährt werden. Im Bereich des Wiederaufbaus der Ukraine seien bereits erste Studien und Kostenschätzungen vorgelegt worden. Hierbei werde es darauf ankommen, die Prioritäten und Zielsetzungen der ukrainischen Seite und der Geberländer aufeinander abzustimmen. Spannungsverhältnisse seien insbesondere zwischen der notwendigen Lokal Ownership über den Wiederaufbauprozess und der Ausgestaltung der Unterstützungsmodalitäten zu erwarten. Die Frage der Einbindung in sicherheitspolitische Strukturen sei derzeit noch am wenigsten zu beantworten, da sie vom weiteren Verlauf des Krieges abhängig sei. In der aktuellen Debatte spielten weder der NATO-Beitritt noch notwendige Sicherheitsgarantien und Verhandlungen zur Einstellung der militärischen Konfrontation eine Rolle. Gawrich sprach sich nachdrücklich dafür aus, nichts unversucht zu lassen, den Krieg baldmöglichst zu beenden, sei es über Verhandlungsangebote von Drittparteien oder Initiativen auf Ebene der UN und OSZE. Noch gebe es keine Anzeichen dafür, dass dies in naher Zukunft Aussicht auf Erfolg haben werde.
Das Programm des Parlamentarischen Abends finden Sie bereits hier online.