Verantwortung und Vertrauen als komplementäre Formen gesellschaftlicher Friedensstiftung
Forschungseinrichtung: Universität Flensburg
Projektleiter: Priv.-Doz. Dr. Alfred Hirsch und Dr. Pascal Delhom,
Laufzeit: April 2010 – Dezember 2011
Forschungseinrichtung: Universität Flensburg
Projektleiter: Priv.-Doz. Dr. Alfred Hirsch und Dr. Pascal Delhom,
Laufzeit: April 2010 – Dezember 2011
Hirsch, Alfred; Delhom, Pascal (Hg.) (2015): Friedensgesellschaften – zwischen Verantwortung und Vertrauen. Verlag Karl Alber, Freiburg. ISBN: 978-3-495-48678-8.
Hirsch, Alfred (2015): Verantwortungsethik und Friedensbeziehungen. In: Pascal Delhom und Alfred Hirsch: Die Friedensgesellschaft – zwischen Vertrauen und Verantwortung. Friedenstheorien Band 1.München-Freiburg: Alber Verlag. Zur Publikation.
Hirsch, Alfred (2012): Rousseaus Traum vom ewigen Frieden. München: Fink Verlag. Zur Publikation.
Hirsch, Alfred (2012): Der ursprüngliche Frieden. In: Pascal Delhom und Alfred Hirsch: Jean-Jacques Rousseau: Die Ursprungserzählungen. München: Fink Verlag,193-211. Zur Publikation.
Der Frieden ist in den vergangenen vierzig Jahren in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen zum Thema und zum Forschungsobjekt geworden. Insbesondere die Politikwissenschaften und die Soziologie haben sich der ‚Friedens- und Konfliktforschung’ zugewandt. Umso erstaunlicher ist es, dass sich weder das Phänomen des Friedens noch dasjenige des Krieges zum verbreiteten Objekt intensiven philosophischen Nachdenkens entwickelt hat.
Kommt der Frieden in der zeitgenössischen Philosophie vor, wird er weitgehend mit Denkkategorien gedacht, die zwischen Hobbes und Kant entwickelt wurden. Die historischen Ereignisse des letzten Jahrhunderts und die Herausforderungen einer globalisierten Welt fordern aber eine neue Art, die Frage des Friedens zu stellen. Auch die neuen Entwicklungen der (philosophischen) Anthropologie, der Sozial- und politischen Philosophie, einer Philosophie der Sprache und der Kommunikation, erfordern ein neues Denken des Friedens, das die Pluralität und die Sozialität der Menschen berücksichtigt. Vor dem Hintergrund dieser philosophischen Neuorientierungen eröffnen die ineinander verschränkten Dimensionen des Vertrauens und der Verantwortung neue Zugänge zur Friedensthematik.
Das vorliegende Projekt geht dabei von der Annahme aus, dass Frieden mehr ist als die Aussetzung des Kampfes und die Pause zwischen den Kriegen. Das, was das ‚Mehr’ des Friedens gegenüber dem bloßen ‚Unkrieg’ ist, gilt es zu entfalten. Dieses ‚mehr’ soll auf der Ebene der zwischenmenschlichen Beziehungen und der gesellschaftlichen Lebenswelt gesucht und analysiert werden. Das Ziel des Projektes ist, die Genealogie des Friedens als Friedensstiftung und die Erhaltung des Friedens als Friedenswahrung mittels der Prozesse des Vertrauens und der Verantwortung zu analysieren. Die Bekräftigung der konstitutiven Rolle von sozialen Beziehungen für die Bildung einer friedfertigen Ordnung als notwendige Ergänzung zu institutionalistischen Ansätzen zeichnet das beantragte Projekt aus.
Vertrauensprozesse und Verantwortungsbeziehungen behaupten nicht nur im innergesellschaftlichen, d.h. nationalen Zusammenhängen, eine für Konfliktschlichtungen und Friedensentwicklungen herausgehobene Relevanz, sondern erlangen eine neue Bedeutung auch für globale Verhältnisse, da diese neben den zwischenstaatlichen Strukturen zunehmend von einer transnationalen Weltgesellschaft geprägt werden. Interpersonale und soziale Beziehungen erhalten in diesem Kontext ein besonderes Gewicht, das die zwischen- und transstaatlichen Institutionen nicht nur durch neue soziale Verbindlichkeiten ergänzt, sondern für deren Funktionieren und Weiterentwicklung sogar konstitutiv ist.
Ziel der geplanten Untersuchung ist es, die Frage der Möglichkeit friedfertiger Gesellschaften und ihrer Beziehung zueinander ausgehend von den zwischenmenschlichen und sozialen Beziehungen zu beschreiben. Aufbauend auf diesen Untersuchungsschritt sollen die Voraussetzungen für die Verstetigung und Manifestierung von Friedenskräften in Staat und Recht durch Verantwortung und Vertrauen entfaltet werden. Es soll dargestellt werden, ob und wie auf der Basis dieser Überlegungen über die Verantwortung und ihre Verankerung in den sozialen Beziehungen ein Element der sozialen Verbindlichkeit gewonnen werden kann, das friedfertig und friedenswirksam ist – und darüber hinaus zur friedensstiftenden Dynamik einer globalen Zivilgesellschaft beizutragen vermag.
Hieran anzuknüpfen, ist der Entwurf der Überführung der skizzierten tendenziell unbegrenzten interindividuellen und sozialen Verantwortung in eine Begrenzung und Instituierung von Verantwortung. Denn dauerhaft muss eine unendliche Verantwortung zur Überforderung des Individuums und damit zum Scheitern eines Verantwortungskontinuums führen.
Ein weiteres Ziel des Projektes ist es zu entwickeln, erstens ob und wie das Vertrauen als eine Form der sozialen Verbindlichkeit gedacht werden kann, die nicht nur aus individuellen Akten besteht, sondern auf Grund von Strukturen und einer Kultur des Vertrauens die soziale Ordnung maßgeblich im Sinne der Friedfertigkeit und der Friedenswirksamkeit prägt, zweitens wie Prozesse der Vertrauensbildung gedacht werden können, die die Möglichkeit von Enttäuschungen einbeziehen und trotzdem als sozial verbindlich gelten.
Die methodischen Konturen des vorliegenden Projektes sollen durch zwei miteinander korrespondierende philosophische Traditionen gezeichnet werden. Auf der einen Seite soll eine Handlungs- und Kommunikationstheorie in Anknüpfung an Arendt und Habermas grundlegend für unser Vorgehen sein, auf der anderen Seite greifen wir auf eine elaborierte Form der Sozialphänomenologie zurück, wie sie zuletzt von Levinas und Waldenfels entwickelt wurde.
Eine dialog- und kommunikationsphilosophische Perspektive des Sozialen, die die Spezifizität von zwischenmenschlichen Beziehungen gegenüber Objektbeziehungen unterstreicht, gilt es besonders zu beachten. Als Erben einer langen philosophischen Tradition bekräftigen Arendt oder Habermas die enge Verbindung des politischen Handelns mit dem Sprechen. Diese Perspektiven sollen aufgegriffen und im Rahmen des Projektes entwickelt werden. Hinzutreten muss überdies eine Orientierung an einer ‚responsiven’ Auffassung interindividueller Kommunikation, in der das Antwortgeben in Form von Sprache und Handlung von einem fremden Anspruch auszugehen hat, wie Waldenfels vorschlägt.